Walter Milowiz

Prof. Dr.phil., geb. 1947 in Hatzendorf/Steiermark

Psychologe, eingetragener Psychotherapeut (dyn. Gruppentherapie)
Graduierter Gruppendynamik-Trainer und Psychotherapeut(ÖAGG)
Autorisierter Supervisor (ASYS, ÖAGG, ÖVS)
Autorisierter Kursleiter für Jeux-Dramatiques (SAGJD)
Gründungsmitglied, Generalsekretär und Lehrtrainer des Arbeitskreises für Systemische Sozialarbeit, Beratung und Supervision (ASYS)

Fortbildung in den meisten psychotherapeutischen Richtungen, speziell Systemtheorie

Studium der techn.Physik ( 1.Staatsprüfung 1969 )
Studium der Psychologie und Psychopathologie ( Promotion 1976 )

Veröffentlichungen in nationalen und internationalen Zeitschriften, Vorträge und Fortbildungsseminare bei nationalen und internationalen Veranstaltungen.

Arbeit in freier Praxis ( seit 1979):

Einzel-, Familien- und Gruppenpsychotherapie
Aus- und Weiterbildungsveranstaltungen in Gruppendynamik
Einzel- und Teamsupervision sowie Organisationsberatung im psychosozialen Bereich (Sozialarbeit, Bewährungshilfe, Kinderheime, Ärzte, Lehrer, psychosoziale Projekte etc.)
Fortbildung in den Bereichen Systemische Sozialarbeit und Managing Diversity

Unterricht an der Bundesakademie für Sozialarbeit Wien (1980 - 2003):

Systemtheorie, Kommunikationstraining, Lösungsorientierter Beratungsansatz, Gruppenarbeit, Life-Event-Forschung, Projektarbeit, Methoden der Sozialarbeit, Psychotherapeutische Schulen.

Fortbildung an der Bundesakademie für Sozialarbeit Wien (1989 - 2002):

Lehrgangsleiter des Lehrganges "Systemische Sozialarbeit".

Fortbildungsveranstaltungen für Projektentwicklung, Interaktionsanalyse, Kreative Nutzung sozialarbeiterischer Methodik, Systemtheorie, systemische Supervision und Organisationsdynamik.

Lehraufträge am fh-campus Wien (2003 - 2006):

Beratungsgespräche, Projektentwicklung, Systemische Sozialarbeit

Lehraufträge an der VHS Ottakring(2004 - 2010):

Lösungsorientierte Beratung, Systemische Interventionsformen

Lehrauftrag an der Universität Dortmund (2006):

Konfliktmanagement im Managing Gender & Diversity

Lehrauftrag an der EFH Reutlingen-Ludwigsburg (seit 2006):

Vom Interkulturellen Lernen zum Diversity Management

Lehrauftrag an der Donau-Universität Krems (2015-2017):

Systemische Sozialarbeit

Lehrauftrag an der FH St. Pölten (2020-2021):

Bachelor-Projekt "Zirkularität in der Sozialarbeit"

 

 

 

Wissenschaftliche Arbeiten

Artikel:

  • Psychologie III: Materialien. Zu kontroversen Fragen der Psychologie und ihrer Grenzgebiete, Nr.4, März 1975:
    "Neurophysiologie und Wiederholungszwang"

  • Konsument. Testmagazin der Konsumenteninformation, Nr. 9, Sept.1980:
    Gruppenarbeit - Fortbildung und Konflikthilfe"


  • Feedback. Zeitschrift im ÖAGG, 1.Jg., lfd.Nr. 3 Heft 3/83:
    "Emanzipatorischer Unterricht oder Versuch und Irrtum in der Schule"


  • Feedback. Zeitschrift im ÖAGG, 3.Jg., Sondernummer Heft 1/85:
    "Gruppen unter hierarchischen Bedingungen"


  • Feedback. Zeitschrift im ÖAGG, 5.Jg., lfd.Nr. 42, Heft 3/87:
    "Gruppendynamik und Systemtheorie"


  • SUB. Sozialarbeit und Bewährungshilfe, 10.Jg., Heft 4/1988:
    "Systemische Gedanken zur Sozialarbeit"


  • Feedback. Zeitschrift im ÖAGG, 7.Jg., lfd.Nr. 94, Heft 5/89:
    "Über einen möglichen Zukunftsaspekt der Gruppendynamik"


  • Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik, Band 25, Heft 2, Dez.1989:
    "Das Mikado-Prozessmodell für Gruppen" - gemeinsam mit Dr. Leo Käfer


  • BASYS. Berichte des Arbeitskreises für Systemische Sozialarbeit, Beratung und Supervision, lfd.Nr. 2, Heft 1/97:
    "Große Systeme"


  • BASYS. Berichte des Arbeitskreises für Systemische Sozialarbeit, Beratung und Supervision, lfd.Nr. 3; Heft 2/97:
    "Begründung der Sozialarbeit"


  • BASYS. Berichte des Arbeitskreises für Systemische Sozialarbeit, Beratung und Supervision, lfd.Nr. 7; Heft 2/99:
    "Gedanken zum Thema Autopoiesis"


  • BASYS. Berichte des Arbeitskreises für Systemische Sozialarbeit, Beratung und Supervision, lfd.Nr. 11; Heft 2/02:
    "Gesellschaftsentwicklung und lösungsorientiertes Denken" gemeinsam mit T. Hermann, C. Karlburger, B. Lehr, Ch. Reininger.


  • BASYS. Berichte des Arbeitskreises für Systemische Sozialarbeit, Beratung und Supervision, Lfd. Nr. 18; Heft 1/05:
    " Wer definiert Macht?"


  • In: Hartmann, G., Judy, M. (Hg.): Unterschiede machen. Managing Gender & Diversity in Organisationen und Gesellschaft. Edition Volkshochschule, 2005:
    "Das Fremde ist immer und überall..."


  • BASYS. Berichte des Arbeitskreises für Systemische Sozialarbeit, Beratung und Supervision, lfd.Nr. 22, Heft 1/07:
    "Ein systemisches Modell für die Betrachtung und Behandlung von Randgruppen- und Aussenseiter-Entwicklungen"


  • In: Koall, I., V. Bruchhagen, F. Höher: Diversity Outlooks. Managing Diversity zwischen Ethik, Profit und Antidiskriminierung. Lit Verlag 2007: "MORALEN - Wertekonflikte und ihre Folgen" - gemeinsam mit M. Judy

  • BASYS. Berichte des Arbeitskreises für Systemische Sozialarbeit, Beratung und Supervision, lfd.Nr. 23, Heft 2/07:
    "Systemisch denken – 1972  bis heute"
  • In: Aschenbrenner-Wellmann, B. (Hrsg.): Mit der Vielfalt leben. Verantwortung und Respekt im Diversity-Management für Personen, Organisationen und Sozialräume. Stuttgart 2009: "Über die Konstruktion von Wirklichkeit: Systemisch denken im „Managing Diversity“" - gemeinsam mit M. Judy

  • In: Pantucek, P. & P. Röh (Hrsg.): Perspektiven sozialer Diagnostik. Über den Stand der Entwicklung von Verfahren und Standards. Münster 2009: " Die Rückkoppelungsschleife als Diagnoseinstrument: Erfassung der autopoietischen Selbsterhaltung von Problemsystemen." - gemeinsam mit B. Lehr
  • In: Zeitschrift für Systemische Beratung und Therapie - Heft 2/2012: "Das Prinzip Rückkoppelung: Vergessene Wurzeln systemischen Denkens?"
  • In: Judy, M. und W. Milowiz: STEP - Systemic Social Work Thoughout Europe. Wien 2013: "The Principle of Feedback Loops: Forgotten Roots of Systemic Thinking?"
  • In: Andrlik, M. und Pauser, N. (Hrsg.):Realisierung von Diversity & Inclusion. Wien 2015: "Diversity − eine Überforderung? Auswirkungen kognitiver Dissonanzen im Managing Diversity" - gemeinsam mit M. Judy

 

Große Publikationen:

  • Dissertation an der Phil. Fakultät der Universität Salzburg, 1976:
    "Nervenzelle und Tiefenpsychologie"


  • Springer Verlag, 1998:
    "Teufelskreis und Lebensweg - Systemisches Denken in der Sozialarbeit

Neuauflage:

  • Vandenhoeck&Ruprecht, 2009:
    "Teufelskreis und Lebensweg - Systemisch denken im sozialen Feld "

Vorträge:

  • Gruppendynamik-Tage der Fachsektion GD des ÖAGG in Gallneukirchen 24.1.-26.1.1986:
    "Organisationsdynamische Erfahrungen in der Schule"


  • Wiener Gruppe der Fachsektion Gruppendynamik und therapeutische Gruppenarbeit des ÖAGG, 21.4.1986:
    "Gruppendynamik und Systemtheorie"


  • Wiener Gruppe der Fachsektion Gruppendynamik und therapeutische Gruppenarbeit des ÖAGG, 15.2.1988:
    "Gedanken zum Machtaspekt der Wirklichkeit"


  • Wiener Gruppe der Fachsektion Gruppendynamik und therapeutische Gruppenarbeit des ÖAGG, 13.3.1989:
    "Macht und Ethik"


  • Wiener Gruppe der Fachsektion Gruppendynamik und therapeutische Gruppenarbeit des ÖAGG, 21.5.1990:
    "Abhängigkeit und Regression beim Unterricht von Erwachsenen"


  • Internationaler Kongreß für Psychotherapie in Berlin Sept. 1990:
    "Außenseiterposition und System"


  • DIVERSITY OUTLOOKS - Managing Diversity zwischen Ethik, Profit und Antidiskriminierung, Iserlohn, 16. - 17. November 2005:
    "Moralen. Wertekonflikte und ihre Folgen" (gem. mit M. Judy)


  • Macht in der Sozialen Arbeit -Interaktionsverhältnisse zwischen Kontrolle, Partizipation und Freisetzung? Fachtagung am 16. und 17. März 2007 an der EFH Freiburg: "Selbstreproduzierende Strukturen zwischen Macht, Ohnmacht und Helfen: Wo positioniert sich die Sozialarbeit?"

  • Internationale Fachtagung "Integration - Rehabilitation - (Re)Sozialisierung 26. - 27.4.2007 in Wien:
    "Ein systemisches Modell für die Betrachtung und Behandlung von Randgruppen- und Aussenseiter-Entwicklungen"


  • Internationale Fachtagung "Integration - Rehabilitation - (Re)Sozialisierung" 26. - 27.4.2007 in Wien:
    " Theorien und Vorannahmen zum Thema 'Sozialisierung' in der Praxis" - gem. mit B. Ettenauer, Ch. Reininger, H. Ruttinger


  • Fachtagung „Soziale Diagnostik – Stand der Entwicklung von Konzepten und Instrumenten“. St. Pölten, 8. – 9. Mai 2008: „Diagnostik der autopoietischen Selbsterhaltung von Problemsystemen“ - gem. m. B. Lehr
  • 3. Merseburger Tagung zur systemischen Sozialarbeit "2 x 2 = grün – die Vielfalt systemischer Sozialarbeit", 7. bis 9. Juli 2011: "Das Prinzip Rückkopplung"
  • Seminar "Systemic Social Work Throughout Europe" an der Robert-Gordon-University in Aberdeen, 15.3.2012: "The Principle of Feedback Loops & their Meaning for Systemic Social Work in Social Systems"
  • 4. Merseburger Tagung zur Systemischen Sozialarbeit "Mind The Gap!", 19.10.2012: "Eine systemische Definition von Sozialarbeit"
  • Internationale Fachtagung "Connected – Systemische Soziale Arbeit in Europa", 25.4.2013 in Luzern: "Konstruktivismus – ein Spiel mit verteilten Rollen/Constructivism – a play with assigned roles" - gem. mit M. Judy
  • Paul WATZLAWICK Symposium: PAUL WATZLAWICK UND DIE SOZIALE ARBEIT ET AL, 24.11.2016 in Eisenstadt: "Paul Watzlawick und die systemische Soziale Arbeit"

 

Entwicklung von Aus- und Fortbildungskonzepten:

  • Herbst 1987: Entwicklung eines Lehrganges für Erstsemestrigentutoren an der Universität Wien - gemeinsam mit Ingrid Bartosch-Krafft-Ebing, Gerhard Stumm und Gerhard Pawlowski.
  • 1989: Entwicklung eines Curriculums für Gruppenpsychotherapeuten in der Fachsektion Gruppendynamik und Dynamische Gruppentherapie des Österreichischen Arbeitskreises für Gruppentherapie und Gruppendynamik - gemeinsam mit Heiner Bartuska.
  • 1990/91: Entwicklung eines Fortbildungslehrganges für Projektentwicklung an der Bundesakademie für Sozialarbeit - gemeinsam mit Anneli Arnold.

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Gedanken zum Machtaspekt der Wirklichkeit

Walter Milowiz Feb. 1988

"There is a war between the ones who say there is a war and the ones who say that there isn't..." (Leonard Cohen)

Man kann Macht anstreben, ablehnen, verurteilen oder ignorieren, aber man kann nicht umhin, Macht auszuüben. Und was immer wir bewirken oder erreichen wollen, es geht nur, wenn wir die Macht dazu haben. Betrachtet man die Wirklichkeit konsequent und ohne Wertung unter diesem Aspekt, ergeben sich einige interessante Gedankengänge...

Machtaspekte der Wirklichkeit

Def. Macht: "die Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben(?) durchzusetzen." (Max WEBER)

Womit kann man erreichen, daß jemand etwas tut?
Physische Gewalt, Hoffnung und Angst.
Physische Gewalt ist im allgemeinen offensichtlich und ohne weiteres erkennbar.
Hoffnung und Angst können auf verschiedene, häufig nicht so leicht erkennbare Weise erzeugt werden. Prinzipiell wird hier mit symbolischen Mitteln gearbeitet. Eine Pistole z.B. ist Symbol für Schmerz und Tod und löst meist auch Angst aus, insofern die Handlung Symbol für weitere ähnliche Aktionen ist.
Ein größerer Geldschein vor der Nase löst bei den meisten Menschen Hoffnungen aus, insofern er Symbol ist für zu erhoffende Befriedigung irgendwelcher Bedürfnisse.

Zum Thema Hoffnung ein Beispiel:

Wenn man eine "wilde" (d.h., nicht laborerfahrene) Ratte in einen Trog mit Wasser wirft, dann schwimmt sie ca. acht Stunden lang und versucht, den Rand zu erklimmen. Dann geht sie unter und stirbt. Die Untersuchung ergibt, daß die Ratte nicht am Ende ihrer Kräfte ist, sondern organische Symptome zeigt, die man mit "Aufgeben" vergleichen könnte.
Hält man aber einer solchen Ratte innerhalb dieser Zeit ein Hölzchen hin, an dem sie sich festhalten kann, und entzieht es ihr dann wieder, dann schwimmt sie 80 Stunden lang, bevor sie untergeht und stirbt – dann aber aus Entkräftung.

Ein ganz spezielles Mittel zur Erzeugung von Hoffnung und Angst ist die Sprache. Es ist ganz wichtig zu beachten, daß jeder, der Sprache nur oder in erster Linie nach ihrem Inhalt untersucht, in Bezug auf den Machtaspekt völlig auf dem Holzweg ist. Zu untersuchen ist grundsätzlich bei allen Fragen der Interaktion die Wirkung. Sprache hat neben der Wirkung noch einen Inhalt, der sich perfekt zur Ablenkung von ihrer Wirkung eignet. Wie krass Inhalt und Wirkung auseinanderklaffen können, soll ein Beispiel zeigen:

Man hat vor einigen Jahren noch zur Bekämpfung der Epilepsie den Balken – die Verbindung zwischen rechter und linker Großhirnhemisphäre durchschnitten. Nun fand man einige solche Personen, bei denen der Balken durchschnitten war, und die auf beiden Seiten ein Sprachzentrum hatten, d.h., mit beiden Hirnhäften lesen konnten (Der Kontakt zu einer Hirnhälfte läßt sich über die Augen realisieren, da die Netzhauthälften exakt den entsprechenden Hirnhälften zugeordnet sind). Solchen Menschen hat man mit Hilfe einer sinnigen technischen Einrichtung Botschaften nur über die rechte bzw. nur über die linke Hirnhäfte zugespielt. Und nun ergaben sich etwa die folgenden Dialoge:
Versuchsleiter, über die rechte Hirnhälfte: "Kratze Dich mal am Kopf!"
Proband: Kratzt sich am Kopf.
VL, über die linke Hirnhälfte: "Warum kratzt Du Dich?"
Pb: "Weil es mich juckt!"
VL, über die rechte Hirnhälfte: "Lach‘ einmal!"
Pb.: Lacht etwas künstlich.
VL., über die linke Hirnhälfte: "Warum lachst Du?"
Pb.: Weil Ihr so komische Kerle seid!"

Es gibt übrigens auch physische Gewalt der Sprache: Wer in einer Runde am lautesten sprechen kann, kann, solange er nicht hinausgeworfen wird, bestimmen, was von dem, was andere sagen, gehört wird und was nicht. Wer am längsten immer noch eine Antwort weiß bzw. noch mitredet, wenn die anderen schon zu müde sind und heimgehen, kann auf der Generalversammlung bestimmen, was geschieht und was nicht.

Natürlich ist Macht immer auch eine Frage des Geschicks: ebenso wie ein Boxer, der zuschlägt, wenn sich der Andere eine Blöße gibt, mehr Siegeschancen hat als ein anderer, so hat auch jemand in einer Gruppe mehr Chancen, seine Ziele durchzusetzen, der zu solchen Zeitpunkten eingreift, wo die anderen eher verwirrt und ziellos sind. Wir haben in einem Training bei den einzelnen Teilnehmern beobachtet, zu welchen Zeitpunkten sie eingreifen, und festgestellt, daß die, die die "machtlosesten" Rollen einnehmen, tatsächlich immer zu dem Zeitpunkt einzugreifen versuchen, wo die Gruppe gerade in voller Fahrt ist, während die einflußreicheren eher Vorschläge machen, wenn die Gruppe sich in abwartender oder verwirrter Form zeigt. Man kann sich leicht vorstellen, daß dies in zirkulärer Bedingtheit mit dem Selbstvertrauen zu überdauernden Rollen, d.h. zu Charaktereigenschaften führen kann.

Wer sich je mit Kommunikationstheorie auseinandergesetzt hat, weiß, daß der Bereich solcher symbolischer Mittel, mit denen auf Hoffnungen und Ängste anderer eingewirkt wird, völlig unüberschaubar, komplex und grenzenlos ist. Selbst zu irgendeinem Zeitpunkt an irgendeinem Ort zu sein, kann in dieser Weise wirksam sein. Man kann daher annehmen, daß die Ausübung von Macht mit bewußten Mitteln nur sehr beschränkt lernbar ist. Unser Unbewußtes, das ja bekanntermaßen wesentlich mehr Informationen verarbeitet, lernt ununterbrochen, und zwar bezogen auf die je unbewußten Ziele. Anders ausgedrückt: am mächtigsten werden die Leute, deren Unbewußtes voll auf das Erreichen von Macht konzentriert ist.

Nun einige Gedanken zur Frage der Auswirkungen von Machtausübung. Es ist bekannt, daß Kommunikation aufgeteilt werden kann in den Inhaltsaspekt und den Beziehungsaspekt. Der Beziehungsaspekt ist die Art des Umgehens miteinander, er zeigt die Formen des Sich- gegenseitig-bestimmens, die Formen der Machtausübung.

Ich denke, jeder kann erkennen, daß dieser Beziehungsaspekt, daß die Formen der Machtausübung das sind, was unser Zusammenleben bestimmt. Es sind unsere Umgangsformen, unsere Art, Gefühle zu haben und zu zeigen etc.etc.. Vielleicht kennen einige von euch das Buch von Marshal McLUHAN: "The Medium is the Message". Er zeigt sehr eindrücklich, daß die Form der Vermittlung das ist, was eingeführt wird. Der Inhalt spielt meist eine weniger wichtige Rolle. Das Medium, die Methoden, die Formen der Machtausübung bestimmen, ob gehaut wird oder geredet, ob gedroht wird oder beschenkt, ob gelogen wird oder Daten vermittelt undsoweiter.

Ich erlebe in der beratenden Arbeit immer wieder Leute, die nicht verstehen können, daß niemand "die Spielregeln einhält". Sie meinen damit natürlich die ausgesprochenen Spielregeln, wie etwa Ehrlichkeit, Liebe, Humanismus etc. Und es ist oft ungeheuer schwer zu vermitteln, daß diese Worte nicht die Spielregeln sind; daß man die tatsächlichen Spielregeln nur an den Handlungen ablesen kann

Aus den Handlungsabläufen kann man natürlich auch ablesen, welche Worte, welche Inhalte zugelassen sind und welche nicht; Jemanden einzusperren mit den Worten: "Du bist krank, wir wollen dich gesund machen!" ist derzeit bei uns bis zu einem gewissen Grad erlaubt; jemanden nicht einzusperren, aber ernsthaft zu sagen: "Ich finde, daß Menschen wie Du beseitigt gehören!", ist nicht erlaubt. Das erstere ist wohl humanistischer.

Was auf der Welt geschieht, ist also wohl bestimmt durch die Formen der Machtausübung und nicht durch irgendwelche Inhalte.

Erfahrung lehrt, welches Machtmittel sich zu einem bestimmten Zeitpunkt durchsetzt. Wer in dieser Hinsicht lernfähig ist und etwas durchsetzen will, wird die derzeit wirksamen Machtmittel einsetzen. Das bedeutet natürlich, daß ein Machtmittel, das wirksam ist, sich verbreiten wird.

Pistolen sind z.B. derzeit in unseren Breiten für Einzelpersonen nicht besonders geeignet, weil die Verwendung von Pistolen durch Einzelpersonen von der Gesellschaft geächtet und geahndet wird. Wer allerdings glaubhaft machen kann, daß er die Pistole im Auftrag der Gesellschaft und in ihrem Interesse einsetzt, kann sie ohne Schaden benutzen.

Gute Machtmittel sind derzeit - zumindest in bestimmten Bereichen der Gesellschaft in verschiedenen Formen - sich als arm zu definieren. Wer geistig arm ist, darf relativ wenig gestraft Unrecht tun, wer materiell arm ist, hat Anrecht auf verschiedenste Arten von Unterstützung, wer psychisch arm ist, darf darüber bestimmen, wie sich die Anderen zu verhalten haben, indem er sich dann mehr, unverändert oder weniger arm definiert. Hier ist deutlich, daß alles davon abhängt, ob jemand glaubhaft machen kann, daß er arm ist, und nicht, ob jemand "objektiv" arm ist. Macht hat immer nur jemand, der den anderen Angst oder Hoffnung machen kann, oder der physisch stärker ist als die anderen. Macht ausüben heißt, physische Gewalt ausüben, Angst machen oder Hoffnungen machen. Ich möchte kurz darauf hinweisen, daß mit dieser Aussage allein keine Wertung verbunden sein kann: jemanden vor einem Felsabsturz zu warnen, so daß dieser ihn vermeidet, ist eine Form der Machtausübung durch Angst. Jemandem zu sagen, wo er zu einem interessanten Job kommen kann, ist eine Machtausübung durch Hoffnung. Ein Kind oder einen Betrunkenen von der Straße wegzuziehen, weil ein Auto kommt, ist Ausübung physischer Gewalt.

Also: Macht hat jemand, der physisch stark ist, jemand der Angst auslösen kann und jemand, der Hoffnungen auslösen kann. Ein Yogi - und damit meine ich jemanden, der sich von irdischen Hoffnungen, Wünschen und Ängsten gelöst hat, bis zur Gleichgültigkeit gegenüber Schmerzen und Tod - ein Yogi also kann nur durch physische Gewalt gesteuert werden. Wenn jemand stark genug ist, seine Hand zu führen, so wird der auch jemanden töten. Angst und Hoffnung aber versagen bei ihm.

Durchsetzen allerdings werden sich immer die Leute, die Macht anstreben und ausüben. Wer auf die Ausübung von Macht verzichtet (wie der Yogi - wenn es solche Yogis gibt -), gibt das Feld frei für diejenigen, die sie ausüben. Kulturen, die auf die Ausübung von starken Machtmitteln verzichten, sterben logischerweise aus bzw. werden von anderen überrollt.

Wer das stärkste Machtmittel in der Hand hat und bereit ist, es einzusetzen, kann über den Einsatz aller Machtmittel bestimmen. Er kann nur abgelöst werden durch jemanden, der ein stärkeres Machtmittel erfindet bzw. einsetzt.

Grundsätzlich setzt sich in einem bestimmten Milieu jeweils das wirksamste Machtmittel durch. Wer ein wirksameres erfindet und einsetzt, bestimmt dann als nächster die Machtmittel. Wird in einem System auf bestimmte bekannte Machtmittel verzichtet, ohne daß stärkere zur Verfügung stehen, so kann das immer nur vorübergehend funktionieren.

Wenn z. B. in einer Gemeinschaft beschlossen wird, daß keine physische Gewalt aufeinander ausgeübt wird, so geht das so lange, als niemand diese Vereinbarung durchbricht. Dann kann – evtl. nach längerem Zureden – der, der die Regel durchbricht, nur gestoppt werden, indem man ebenfalls physische Gewalt anwendet.

Nach dem bisher Geschriebenen bleibt nun die Frage zu diskutieren, wer unter uns die Macht hat, Macht zu definieren. Er wird es in der Weise tun, die ihm am meisten Macht bringt. Und wie er seine Definition durchsetzt, wird zeigen, welche Machtmittel hier wirksam und gültig sind, d.h., wie unser Umgang miteinander, unser Zusammenleben aussieht.

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Gedanken zum Thema Autopoiesis

Die Grundlage meiner gesamten Überlegungen ist das Prinzip der Selbstherstellung von Zuständen. Oder, noch davor, die Annahme, daß nichts existiert einfach per se, sondern alles fließt, alles laufendem Wandel unterliegt. Noch anders ausgedrückt, ich nehme sozusagen "Nichts" an, nicht einmal, daß Dinge existieren, Zustände existieren, Ideen existieren oder sonst etwas. Wenn diese nicht-Annahme irgendwie benennbar ist außer mit fernöstlichen Begriffen, dann noch am ehesten mit Zufall oder Chaos. Aber dieser Begriff reicht nicht aus: Er ermöglicht die Annahme, daß das Chaos "in" etwas herrscht, daß es aus etwas besteht. Ich möchte viel radikaler sein: Mein "Nichts" nichtet nicht einmal. Elementarteilchen, Atome, Moleküle oder sonst etwas setze ich nicht voraus. Auch keine Ideen und kein Wort. Und nun werden die Zweifler fragen: Aber wie ist es dann möglich, daß wir etwas wahrnehmen, daß wir eine existierende Welt erleben? Und genau das ist die Frage, mit der ich mich beschäftigen möchte. Die Antwort soll sozusagen eine Antwort auf alle Fragen der Welt sein, auf alle Warum-Fragen, auf alle Wie-Fragen. Nicht aber auf die Was-Fragen. Die können nur durch unsere "Wirklichkeit" beantwortet werden. Ich schreibe hier das Wort "Wirklichkeit" unter Anführungszeichen, wir werden später sehen, was dieser Begriff unter meinen Vorannnahmen bedeuten kann.

Unser Nichts ist ja nicht geordnet (wie sollte es das auch sein?), es kann daher auch nichts bedingen, nicht einmal ein Nichts. Oder anders ausgedrückt, in meinem Nichts kann alles entstehen, weil ich nichts angenommen habe. Es könnte plötzlich ein Sessel entstehen. Oder ein Naturgesetz. Oder eine Beziehung, oder ein Computer. Das Nichts das ich meine, kann so etwas ja nicht verhindern, denn dann wäre es ja schon etwas. Ein wirkliches nichts-Annehmen kann nicht bedingen, daß irgend etwas nicht entsteht oder nicht existiert. Es kann aber auch nicht bedingen, daß etwas, was da so zufällig entsteht oder existiert, von selbst auch so bleibt. Alles, was sich so zufällig tut, kann entstehen und vergehen. Natürlich können wir auch nicht ausschließen, daß es vielleicht Phänomene geben könnte, die es gibt, und die einfach so bleiben. Wir wissen es nicht. Sehr wohl aber können wir etwas wissen, ohne irgendwelche Vorannahmen: Wenn irgendwie dafür gesorgt wird, daß etwas, was jetzt existiert, gleich wieder entsteht – sozusagen während seines Wandels - dann hat es damit Dauer.

Nun dazwischen ein kurzer Satz zu den Dingen, die es möglicherweise geben könnte, die in sich dauerhaft sind, ohne sich selbst zu reproduzieren. Das würde bedeuten, daß sie absolut tot und unzerstörbar sind, daß sie keinerlei Wandel kennen. Natürlich können wir sofort feststellen, daß das für nichts gelten kann, was in irgendeiner Form lebt oder so. Denn da ist Wandel immer inbegriffen und daher kann diese Dauerhaftigkeit nicht von selbst da sein: Sie muß hergestellt werden. Ob es solche absolut statischen Phänomene gibt, können wir nicht feststellen, weil wir noch nicht ewig leben. Und weil wir auch nicht sagen können, daß wir die Art und Weise der ständigen Reproduktion nicht herausgefunden haben, sage etwas darüber aus, daß es sie nicht gibt.

Wir bleiben also bei den Dingen, bei denen – wie auch immer – dafür gesorgt wird, daß sie weiter existieren. Nun noch einen Schritt weiter: Unser Begriff von Existenz hat immer etwas zu tun mit Wechselwirkung. Es gibt keinen Sinn, von einer Existenz zu reden, die nicht in Wechselwirkung ist, denn für "wen" sollte das Phänomen dann existieren? Es würde mit nichts in Kontakt treten, es würde nicht wahrgenommen werden und keine Wirkungen haben. Nun mag es also solche Phänomene geben, die nicht in Wechselwirkung stehen, aber die sind für uns uninteressant aufgrund ihrer völligen Isolation. Sie existieren sozusagen nicht in unserer Welt. Wenn aber Phänomene in Wechselwirkung stehen, dann bedeutet dieses Weiter-Existieren natürlich, daß sie in Wechselwirkung mit ihrer Umwelt weiter existieren. Diese Phänomene entstehen sozusagen ununterbrochen aus ihrer eigenen Wechselwirkung mit ihrer Umwelt. Wir können uns aussuchen, wie wir es nennen wollen: Sie reproduzieren sich anhand ihrer Umwelt oder sie sorgen dafür, daß ihre Umwelt sie herstellt.

Das heißt, die Bedingung für eine solche Existenz, für etwas, was Dauer hat, liegt in der Wechselwirkung zwischen dem Ding selbst und seiner Umwelt. Das ist eine universale Antwort auf die Frage nach Dauerhaftigkeit von Phänomenen, auf die Frage, wieso irgend etwas existieren kann. Was aber heißt "etwas", was heißt "Umwelt"? Ich komme darauf zurück.

Als nächstes kommt jetzt die Überlegung, daß man von solch einer längerfristigen Reproduktion in Wechselwirkung annehmen kann, daß sowohl in der Umwelt des Phänomens als auch in dem Phänomen irgendeine Art von Regelhaftigkeit zu finden sein muß. Eine Regellosigkeit würde es ja gänzlich unwahrscheinlich machen, daß durch irgendwelche Zufälle eine wiederholte Reproduktion stattfindet. Regelhaftigkeit heißt auch Voraussagbarkeit. Daß die Regeln, die wir für unsere Welt erfunden haben, nicht absolut gelten, daß es immer auch Ausnahmen gibt, ja, daß sie eigentlich nur statistische sind, das wissen wir inzwischen. Selbst die Dauerhaftigkeit unserer Planetenbewegungen ist nicht wirklich dauerhaft: Niemand weiß, wann das ganze Universum auseinanderfliegt. Trotzdem: Wir haben Regeln erfunden, mit denen wir leben können. Auch hier wissen wir nicht, wie lange das so gehen wird. Andererseits aber ist ohne weiteres einsichtig, daß die einzige für uns vorstellbare Möglichkeit, die Welt zu erfassen, mit der Welt umzugehen, irgendetwas für unser Überleben zu tun, die ist, Regelhaftigkeit zu erfinden; Möglichkeiten, aus Vergangenem und vorhandenem auf späteres zu schließen. Vorhersagbarkeit beruht auf Regelhaftigkeit und ohne Vorhersagbarkeit würden wir nicht einmal auf die Idee kommen können, etwas zu essen, wenn wir Hunger haben.

Wir haben also aus unserem nicht einmal nichtenden Nichts, das aus allem und garnichts bestehen könnte, Regeln geschaffen, die uns Existenz ermöglichen, damit wir diese Regeln weiter aufrechterhalten können. Wie jede Beobachtung zeigt, sind wir in Bezug auf diese Regelhaftigkeit relativ flexibel: Bis zu einem gewissen Grad sind auch Veränderungen zugelassen (die ja eigentlich viel wahrscheinlicher sind als die Regelhaftigkeit), ohne daß wir unsere Regeln als verletzt erleben, und bis zu einem gewissen Grad sind wir auch in der Lage, Regeln für die Veränderung von Regelhaftigkeiten zu erfinden, um weiter im vorhersagbaren Bereich bleiben zu können.

Maturana hat auf äußerst konsequente Weise beschrieben, wie aus dem von uns erfundenen Regelsystem (hier speziell der Biologie) die Möglichkeit, ja sogar die Notwendigkeit folgert, daß wir eine Welt erfinden. Nun, das haben wir ja auch getan. Und zwar genau eine solche Welt, in der aus ihrer eigenen Regelhaftigkeit Menschen entstehen können, die solch eine Welt erfinden können. Natürlich heißt das nicht, daß die von uns erfundene Welt die einzig mögliche ist. Man könnte vielleicht beliebige Welten erfinden. Das einzige, was alle diese Welten gemeinsam haben müssen, ist, daß sie in der Lage sein müssen, sich selbst zu erfinden. Oder genauer vielleicht, sie müssen Wesen erschaffen, die sich und die übrige eben diese Welt erfinden. Dann gibt es keine Frage nach außerhalb mehr, nichts, was man darüber hinaus fragen kann.

Diese unsere Welt nun könnte so beschaffen sein, daß sie sich ohne Umwelt erhält. Ein Perpetuum Mobile sozusagen. Das widerspricht dem eingangs Gesagten (Bezüglich Selbsterhaltung aus der Wechselwirkung mit der Umwelt) nicht, weil wir ja nicht nach außen existieren müssen, um nach innen zu existieren. Von einem Standpunkt außerhalb dieser von uns erfundenen Welt existieren wir wohl eher nicht, weil das ja bedeuten würde, daß wir mit diesem "außerhalb" in Wechselwirkung stehen würden, was wiederum heißen würde, daß es zu unserer Welt gehört, d.h., kein "außerhalb" ist. Anders ausgedrückt, ein "außerhalb" unserer Welt ist nicht wirklich denkbar. Nicht jedenfalls mit unserem Denken. Wären wir außenstehende Beobachter, also solche, die mit dieser Welt nicht in Wechselwirkung stehen, könnten wir sie natürlich nicht wahrnehmen, denn Wahrnehmung setzt Wechselwirkung voraus.

Zurück aber zu der Unterscheidung Phänomen und Umwelt. Diese Unterscheidung entstammt wiederum aus unserer Erfindung der Welt: "Mach einen Unterschied", sagt Spencer-Brown. Ohne einen Unterschied zu machen, gibt es nichts wahrzunehmen: keine Unterscheidung, keine Wahrnehmung. Und wenn wir dann ein einzelnes Phänomen betrachten, dann findet die Unterscheidung eben ganz einfach zwischen dem Phänomen und dem Rest der Welt statt: Seiner Umwelt (zu der wir selbst ja natürlich auch gehören, als mit dem Phänomen in Wechselwirkung stehende).

Was sich noch nebenbei ergibt, ist eine höchst interessante Sache: Unsere Welt kann nur solche Phänomene enthalten, die es aushalten, mit uns in Wechselwirkung zu stehen. Sobald wir also etwas entdecken, das es nicht aushält, beobachtet und wahrgenommen zu werden, "stirbt" es sozusagen und wird Geschichte (So geschehen zum Beispiel mit allen möglichen alten Kulturen, auch dort, wo man sehr "vorsichtig" mit ihnen umgegangen ist).

Ein Kristall zum Beispiel besteht aus Elementen, die sich gegenseitig in Position halten. Das kann, aufgrund der Beweglichkeit der Elemente, kein starrer Zustand sein, sondern es funktioniert nur dann, wenn die Kraftfelder, die durch die Anordnung der Elemente entstehen, genau so funktionieren, daß sie jedes Element, sobald es sich von seinem Platz bewegt, zurückziehen, bzw., wenn es sich zu weit fortbewegt, ein anderes, in der Nähe befindliches Teilchen mit entsprechend ähnlichen Eigenschaften heranziehen und an die "leere" Stelle heranführen. Das so bewegte Teilchen ist natürlich ebenfalls beteiligt an diesen Kraftfeldern, so daß dasselbe auch mit allen anderen Teilchen geschieht.

Wenn auf diese Weise der Eindruck entsteht, daß der Kristall seine Struktur unabhängig von seiner Umgebung, sozusagen ganz eigenständig, aufrechterhalten kann, so ist das ein Trugbild: Sobald z.B. genügend starke andere Kraftfelder von außen an ihn herantreten, kann er seine Teilchen nicht mehr in Ordnung halten. Oder umgekehrt können unter sehr hohem Druck Kristalle entstehen, die ohne diesen Druck nicht entstehen würden, und die auch bei Nachlassen des Druckes schneller oder langsamer zerfallen. Wenn die Umgebungstemperatur irgendwelche Schwellenwerte überschreitet, und damit auch die am Kristall beteiligten Teilchen zu stark aktiviert, dann verliert das Kraftfeld durch die sich zu weit bewegenden Teilchen seine Struktur und damit seine Fähigkeit, die nun ohnehin zu weit schwirrenden Elemente wieder zurückzuholen: Der Kristall schmilzt oder löst sich gänzlich in seiner Umgebung auf: Die Struktur verändert sich und es ist noch nicht klar, ob und wann wieder eine solche sich selbst reproduzierende Struktur entstehen wird.

Damit ist gesagt, daß der Kristall zwar eine eigene, für uns Menschen von der Umgebung unterscheidbare Struktur hat, die in der Lage ist, sich selbst ständig gegen die allen Phänomenen offenbar inhärente Tendenz zur Veränderung zu aufrechtzuerhalten, gleichzeitig ist aber auch deutlich geworden, daß ein ebenso wichtiger Aspekt die Wechselwirkung zwischen diesem Kristall und seiner Umgebung ist. Wir haben zwar jetzt nur sozusagen den Einfluß der Umgebung auf den Kristall beobachtet, und nicht umgekehrt, aber ich denke, es ist sofort einsichtig, daß auch der Kristall Umgebung ist für seine Umwelt, so wie er etwa seine Temperatur auf die Umgebung überträgt und so weiter.

Was den Kristall von einem Stein oder einem Becken voll Wasser unterscheidet, ist, daß die sich bildende Struktur deutliche, geometrisch gut erfaßbare Formelemente enthält, die bei allen Kristallen der gleichen Art aufscheinen. Davon abgesehen verhält sich ein Krümel Erde oder ein Stück Holz ähnlich. Unterschiede gibt es allerdings auch in der Frage der Umgebungsbedingungen, unter denen die Reproduktion funktioniert. Ein Kristall hat ebenso wie das Wasser in einem Becken die Fähigkeit, in geeigneter Umgebung zu "wachsen", der Kristall ohne eine "formgebende" Umgebung, das Wasser nur, wenn die Umgebung die Form liefert. Ein Stein braucht, um zu wachsen, neben dem geeigneten Material auch noch sehr viel Zeit und Druck. In den uns geläufigen "Umwelten" tut er es nicht. Wohl aber kann er – ebenso wie der Kristall – seine Struktur soweit aufrechterhalten, daß er nur sehr langsam weniger wird.

Wie ist das nun z. B. mit einer Idee? Macht sie es anders? Eine Idee existiert doch in der Weise, daß sie von jemandem wahrgenommen wird, der sie weiterdenkt und weitererzählt, was wiederum sie in die Lage versetzt, sich – mit Einschränkungen – zu reproduzieren. Das geschieht freilich nur, wenn die Idee in die geeignete Umgebung, d. h., an die richtigen Menschen gelangt. Manchmal wird sie den Menschen langweilig und vorbei ist es mit der Reproduktion. Es ist zwar in unserer Denkweise naheliegend, davon zu sprechen, daß diese Idee einfach nur von den Menschen reproduziert wird, und dem soll auch nicht widersprochen werden. Allein wo liegt der Unterschied, wenn wir sagen, die Idee sei in der geeigneten Umwelt in der Lage, sich selbst zu reproduzieren? Wenn sie in eine Umgebung kommt, in der die Menschen sich nicht für sie interessieren, dann hört die Fähigkeit ebenso auf wie für das Wasser im Becken bei einer Temperatur über 100 Grad (bei einem Luftdruck von einer Atmosphäre etc.).

Wenn wir so diesen Gedanken weiterspinnen, dann müssen wir zwangsläufig auch dazu kommen, daß biologische Strukturen ebenso wie soziale Strukturen in einer solchen Weise in der Lage sind, sich selbst zu reproduzieren, wenn sie denn auf die geeignete Umgebung treffen. Und es wird immer eine der interessantesten Fragen sein, welche Strukturen sich in welchen Umgebungsbedingungen aufrechterhalten können.

Wir sollten vielleicht an dieser Stelle eine Relation herstellen zwischen Reproduktion und Fortpflanzung: Ich betrachte die beiden als das gleiche Phänomen auf zwei verschiedenen Ebenen: Im einen Fall erhält sich das Subjekt selbst (die Struktur bleibt erhalten), im anderen Falle erhält sich sozusagen die Strukturgattung: Es gibt mehrere Strukturen, die sich, verknüpft durch den Faktor Zeit, gegenseitig reproduzieren. Sieht man den Zeitfaktor als Teil der Struktur und die Abfolge der verschiedenen Zustände als Phänomen, so kann man in gleicher Weise wie bei der "aufrechterhaltenden" Variante einfach von Reproduktion sprechen.

Der Beobachter jedenfalls kann zwei Arten von Wechselwirkungen in Strukturen unterscheiden: Solche, die dazu geeignet sind, die Strukturen aufrechtzuerhalten (und die damit auch von diesen Strukturen weiter erzeugt werden, was im Endeffekt bedeutet, daß auch diese Wechselwirkungen sich selbst aufrechterhalten), und solche, die Veränderungen nicht korrigieren, sondern zulassen oder gar verstärken.

Eine Gruppe zum Beispiel muß sich - bei der Bewältigung ihrer Umgebung und ihrer Situation - in Bezug auf verschiedenste Themen ausrichten. Diese können jeweils als Verbindungsachsen von zwei Polen gesehen werden. Solche Achsen sind zum Beispiel:

  • Ordnung versus Chaos und Kreativität
  • Arbeit versus Erholung
  • Engagement versus Distanz
  • Unterwerfung versus Auflehnung
  • Reaktivität versus Aktivität
  • Kritik versus Schonung
  • Theorieorientierung versus Intuitivität
  • Sachlichkeit versus Emotionalität

und viele andere mehr.

Die Orientierung auf diesen Achsen bestimmt auch die Äußerungsformen. So hat etwa Theorieorientierung eine andere Sprache als Intuitivität, Emotionalität zeigt sich oft eher in der Intensität von Äußerungen als im Inhalt undsoweiter.

Zu jedem Pol dieser Kategorien gibt es auch abwertende Beschreibungen, wie z.B. Pedanterie oder Pingeligkeit für Ordnung, Sich-Gehen-Lassen für Emotionalität etc. Diese pejorativen Beschreibungen werden verwendet, wenn ein Pol abgelehnt wird.

Wo sich die Gruppe zu einem jeweiligen Zeitpunkt auf den vielen Achsen einstellt, hängt im theoretischen Idealfall nur vom Arbeitsziel und von den situativen Erfordernissen ab, tatsächlich aber immer auch von den Mitgliedern und deren Stimmung sowie von der Geschichte der Gruppe.

 

Aufgrund der "menschlichen" Faktoren weicht die Gruppe immer wieder von dem theoretischen Idealzustand ab: Wenn eine Gruppe unter großen Druck gerät, so kann sie - je nach Teilnehmern - unter Umständen ganz in die Auflehnung verfallen, oder ganz emotional werden, oder ihr Engagement über Bord werfen, oder.... Wenn in einer Gruppe viele Ängste vor Verletzung vorhanden sind, kann sie jegliche Kritikfähigkeit über Bord werfen, oder sich ganz auf den sachlichen Pol stürzen. Auch hier ließen sich viele weitere Beispiele anführen

Wiederum abhängig von Persönlichkeit und Geschichte mit der Gruppe nimmt in jeder Situation jedes Gruppenmitglied ebenfalls eine Position auf all diesen Skalen ein. Diese Positionen der Mitglieder sind daher nie alle gleich.

Geringfügige Unterschiede gleichen sich normalerweise im Wechsel der Situation ständig aus, es kann aber auch zu anderen Entwicklungen kommen:

Wenn etwa ein Großteil der Gruppe nur ans Arbeiten denkt und nicht wahrhaben will, daß gerade Erholung dringend nötig wäre, dann kann es sein, daß eine Person sich der so entstandenen "Norm" nicht unterwirft und Müdigkeit zeigt, Witze zu machen beginnt, aufhören oder Kaffe kochen will. Damit begibt sie sich vom Gruppenschwerpunkt weg und die Gruppe gerät in eine Polarisierung. Die Person wird, wenn ihr Thema nicht integriert wird, zum "Außenseiter". Es ist für diese Entwicklung typisch, daß der "Außenseiter" häufig "beraten", zurechtgewiesen oder "behandelt" wird. Sowohl das als auch die dadurch entstehenden Handlungen des "Außenseiters" behindern die Gruppe in ihrem Fortschritt. Darüberhinaus ist die Gruppe natürlich - durch den Ausschluß des Themas - eingeschränkt und unflexibel.
In ähnlicher Weise können auch 2 oder mehr Personen auf der "Gegenseite" sein. Wenn auf der Gegenseite mehrere Personen stehen, so kann man von einer "Minderheitenentwicklung" sprechen. Die Erscheinungsbilder sind ähnlich wie bei der Außenseiterentwicklung, nur daß die Außenseiter in verstärktem Maße aus ihrer eigenen Gruppe und der Außenseiterposition Selbstbewußtsein und Bestärkung beziehen: Sie sind noch weniger leicht zurechtzustutzen und neigen eher zu einer Radikalisierung ihres Standpunktes. Es entwickeln sich eigene Dynamiken in den beiden Subgruppen, die sich gegenseitig verstärken, Feindbilder werden entwickelt. Natürlich besteht auch hier die Möglichkeit, durch Anerkennung der Wichtigkeit des Themas der gegenüberliegenden Gruppe eine Integration herbeizuführen.

Weiters können sich auch zwei gleich große Untergruppierungen bilden, die sich dann - im nicht-integrativen Fall - gegenseitig bekämpfen

Das Idealbild der reifen Arbeitsgruppe sieht so aus, daß die Gruppe die Wichtigkeit aller Aspekte anerkennt, eine "Störung" des momentanen Vorgehens durch ein Gruppenmitglied als Hinweis betrachtet, versteht, welches Thema hier angesprochen ist und in einem relativ kurzen Prozess die nötige Verschiebung vornimmt oder vereinbarterweise vorübergehend aufschiebt, und damit eine Außenseiterentwicklung überhaupt nicht zustandekommt. Hier wird dann auch häufig eine Art relativer Rollenstabilität erreicht, in der jedes Gruppenmitglied einen anderen Aspekt "bewacht" und unruhig wird, wenn dieser vernachlässigt wird.

 

Ist dies nicht der Fall, so zeigt der Außenseiter die Grenzen der Gruppe an, bzw. die Gruppennormen in ihrer Umkehrung. Da Gruppennormen häufig nicht bewußt sind, fällt es oft schwer, die Norm, die hier in Frage steht, anzusprechen und damit das Thema der Besprechung zugänglich zu machen

Eine häufige Scheinlösung ist, den Außenseiter auszuschließen oder in irgendeiner Form "wirkungs-tot" zu machen. Wenn z.B. eine Person starke Unsicherheiten bezüglich seiner Fähigkeiten zeigt, wo alle glauben, man muß ständig seine Fehlerlosigkeit zeigen, so ist die Lösung naheliegend, daß die Gruppe ihn "mitträgt", bis er sich so fehl am Platze fühlt, daß er die Gruppe verläßt. Damit ist aber das Thema Unsicherheit nicht erledigt. Da das Thema ja nicht tot gemacht werden kann, wird sehr wahrscheinlich wieder ein neuer Außenseiter entstehen bzw. kreiert werden, der dann das gleiche Schicksal zu gewärtigen hat. Und dieser Prozess setzt sich dann gegebenenfalls fort, bis sich die Gruppe auflöst, oder bis sich die Bedingungen so verändern, daß das Thema Unsicherheit anders behandelt wird.

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Gesellschaftsentwicklung und lösungsorientiertes Denken

Ein Mailwechsel

Von Thomas Hermann, Conny Karlburger, Bernhard Lehr, Walter Milowiz, Christian Reininger.

Walter:

Seit Jahrtausenden gilt das Prinzip, daß der Stärkere über den Schwächeren bestimmt. Läßt sich der Schwächere nicht bestimmen, so wird er bestraft. Das sollte wohl einsichtig machen, wer der Stärkere ist, so daß der Schwächere nachgeben müßte und sich bestimmen läßt. Funktioniert das nicht, so konnte man die Strafen erhöhen, und wenn das auch nicht half, konnte der Stärkere den Schwächeren töten.

Das hat schon immer dann Probleme gegeben, wenn man vom Schwächeren noch etwas wollte, wenn dieser nicht ersetzbar war: Etwa, wenn er für den Stärkeren arbeiten sollte und nicht beliebig viele Arbeitskräfte zur Verfügung standen, oder wenn man zum Beispiel Aussagen von ihm brauchte, wer denn außer ihm noch mit dem Teufel im Bunde stand. Man war dann gezwungen, jemanden Leben zu lassen, den man nicht beliebig steuern konnte.

Ich weiß nicht, ob der Schluß zulässig ist, daß sich der neuzeitliche Humanismus (im Sinne von Vertretung der Menschenrechte) zu der Zeit entwickelt hat, als durch die Entwicklung der industriellen Fertigung, d.h., zum Beginn des Industriezeitalters, mehr Arbeitskräfte gebraucht wurden, als zur Verfügung standen. Tatsache ist, daß zu dieser Zeit massive Schritte unternommen wurden, um Leute, die aufgrund ihrer sozialen Situation nur mehr dahinvegetierten, dazu zu bewegen, ihr Leben als nicht menschenwürdig zu betrachten und sich um ein menschenwürdigeres Leben zu bemühen.

Das angesagte Mittel dafür war natürlich nicht das Raubrittertum oder die Beteiligung am Kapital der Starken, sondern, in den Fabriken der Starken zu arbeiten. Zeigten Menschen sich dann arbeitswillig, so bekamen sie auch Unterstützung von den zu jener Zeit mit Mitteln der Starken entstandenen sozialen Einrichtungen. Taten sie das nicht, so blieb die Hilfe aus, Es mag uns vielleicht verwundern, daß dieses Prinzip noch heute in Bezug auf die Unterstützung Arbeitsloser gesetzlich festgelegt ist. Geändert hat sich nur, daß das Geld per Steuern von allen Bürgern kommt und nicht von den Starken allein.

Man könnte nun möglicherweise den Schluß ziehen, daß der Kampf um die Rechte der Arbeiter, der Arbeitslosen, der Frauen, der letztlich in die Charta der Menschenrechte mündete, in jener Zeit nur deshalb einen gewissen Erfolg zeigte, weil die Starken es sich nicht leisten konnten, aufmüpfige Menschen einfach abzuschaffen: Sie wurden ja als Arbeitskräfte gebraucht.

Unter diesem Aspekt wären die Menschenrechte zu betrachten als ein Zugeständnis der Stärkeren an die Schwächeren, das genau so lange gilt, als die Schwächeren gebraucht werden. Dank der sich sprunghaft entwickelnden Automatisierung sämtlicher Funktionen, für die man früher Arbeitskräfte gebraucht hatte, dürfte diese Zeit wohl vorbei sein.

Conny:

Beim Lesen dieses Beitrages kam mit als erster der Gedanke von Komplexität. Ich glaube je größer und vielschichtiger ein System ist, das wir betrachten, desto komplexer sind die Zusammenhänge und Verbindungen. Daher fällt es mir schwer in den Dimensionen 'stark und schwach' zu denken. Ich glaube, zeitlich gesehen haben Sozialleistungen eine längere Geschichte. Irgendwo in meinem Gedächtnis erinnere ich mich an Sozialleistungen für Handwerker in den Gilden, weiß aber nicht mehr so genau wann das war, bin mir aber sicher vor der Industrialisierung und ich frage mich ob das weniger mit Macht als mit den Gedanken der gegenseitigen Absicherung zu tun hatte. Nach dem Grundsatz das könnte jedem von uns passieren. Später könnte dieser Gedankengang jedoch durchaus von den Besitzenden aufgegriffen worden sein um Arbeitskräfte zu erhalten und diese Verantwortung wurde dann den Politikern und dem Staat übertragen. Ich glaube auch, daß Frauen mehr Rechte bekamen weil sie in der Industrialisierung wichtiger wurden und mehr Funktionen als Mutterschaft zu erfüllen hatten. Ich glaube aber, daß man noch immer Arbeitskräfte braucht, vermutlich andere, wer soll denn die Automaten planen, ersetzen und reparieren, nur daß sich die Arbeitsform verändert. Weiters frage ich mich in diesen Zusammenhang ob die sogenannten Stärkeren sich auch nicht vor den sogenannten Schwächeren fürchten weil diese im Laufe der Geschichte sich auch anders entwickelt haben und in ihrer Mehrheit an Stärke gewonnen haben. Gerade was unser derzeitiges Leben in diesem Zeitalter betrifft glaube ich, daß es viele Verbindungen und gegenseitigen Abhängigkeiten gibt, die es nicht so leicht machen alle Zusammenhänge deutlich zu erkennen.

Bernhard:

In Grönland, so berichtet Nils Christie, ein norwegischer Kriminologe in seinem Buch "Grenzen des Leids", gäbe es unter den dort lebenden Gemeinden keine Bestrafung in unserem Sinne. Die Menschen dort könnten es sich einfach nicht leisten, daß jemand eingesperrt, also ausgeschlossen würde. Er/sie würden als Arbeitskraft fehlen und dadurch insgesamt der Gemeinschaft mehr Schaden als Nutzen entstehen. Der Konflikt, das störende Verhalten müsen so gelöst werden, daß die Arbeitsleistung der Gruppe erhalten bleibt.

In der extremen Situation von klimatisch strenger Umwelt, kleiner Gemeinschaft, gegenseitiger offensichtlicher Abhängigkeit bei der Nahrungsbesorgung und –verwaltung, räumt die Gruppe der Stärkeren dem Schwächeren sogar das Recht auf einen "humanen Umgang bei abweichendem Verhalten" ein. "Humaner Umgang" heißt hier, Verzicht auf Zufügung von Leid. Man geht von der Annahme aus, daß Schmerzzufügung beim Betroffenen Abwehr, Widerstand gegenüber seinen "Peinigern" auslöst und damit eine Kooperation in Zukunft mit ihm weniger wahrscheinlich wird als wenn man mit verbalen Mitteln versucht seine Verhaltensweisen zu werten, zu ändern, Einsicht zu erreichen, Wiedergutmachung, etc.

Durch eine derartige Auseinandersetzung, eigentlich "Zusammensetzung", wird auch klarer, welche Anteile die gesamte Gemeinschaft am Verhalten des Einzelnen hatte. Man hat daher auch das Wissen, daß nie ein einzelner Schuld hat....

Auch dieses Beispiel spricht meiner Meinung nach dafür, daß humanes Verhalten sehr eng mit gegenseitiger Abhängigkeit in Arbeitsprozessen zusammenhängt. Wenn ich jemanden brauche, der für mich etwas tun soll, muß ich ihm mindestens Vorteile bieten, daß er etwas für mich tut,

z.B. dazu beitragen, daß seine Lebensqualität besser wird,

daß seine Lebensqualität nicht schlechter wird,

daß seine Lebensqualität nicht ganz viel schlechter wird,

daß er nicht hungert,

daß er nicht verhungert.

Die Gesellschaften der USA oder Brasiliens und anderer Länder zeigen deutlich, daß das Gegenteil des grönländischen Dorfhumanismus möglich ist: Reiche schotten sich ab, eine große Masse ist wirtschaftlich unter Druck, eine große Masse verelendet. Gefangenenzahlen steigen in hohem Maße (achtmal soviel Inhaftierte als in Österreich) und außerdem verdienen manche an den Inhaftierungen durch Gefängnisbau und Kontrollinstrumenten.

Der Philosoph Günter Anders, sprach seit der Erfindung der Atomspaltung nur mehr von der "Zeit nach der Erfindung der Atomspaltung" und meinte damit, daß in der Geschichte der Menschheit etwas geschah, das es vorher noch nie gegeben hat, daß etwas erfunden wurde, das Unvorstellbares bewirken kann. Das Unvorstellbare ist die gänzliche Zerstörung der Menschheit und daß die Möglichkeit dazu besteht.

Dieser Erfindung folgten noch andere. Ich denke hier an Biotechnologie, Gentechnik.

Es gab eine Zeit, da hatte ich Angst vor der Atomtechnologie, da vermutete ich in jedem lauten Geräusch am Himmel schon die Pershing 2 und den Beginn des Untergangs, mittlerweile resigniere ich vor Temelin und Sellafield. Wenigstens denke ich noch: Eigentlich will ich dies nicht! Ich habe mich damit noch nicht angefreundet.

Ich denke, daß diese Technologie veranlaßt, daß wir grundsätzlich menschliches Leben als zerstörbar gelten lassen.

Mit dem Beginn der Atomtechnologie entstand der Atomstaat und endete Humanismus als oberste politische Maxime. Es entstand eine Diktatur der Technik: Der Drohung der gänzlichen Zerstörung des Menschen, des Humanen, sind noch andere vorgelagert: gentechnische Veränderung, nahrungstechnische Abhängigkeit und auch die von Energieerzeugung und Kommunikationsnetzwerken. Dieser Diktatur entspricht eine globale Wirtschaftspolitik, die von Humanismus nicht geprägt ist.

Es gibt keinen Konsens mehr zum Wohlfahrtsstaat, es gibt keinen zu einer Wohlfahrtswelt. Der Wunsch der UNO "Physisches, psychisches und soziales Wohlergehen für jeden Menschen" wird längst unterlaufen durch die Abhängigkeit vom Wohlergehen der technischen Systeme.

Humanistisch zu denken und zu handeln ist eine persönliche Sache geworden.

Morgen wieder human zu handeln, ist ein eigener Kraftakt. Das globale System verlangt es nicht: Ein verelendetes Afrika, durch Hungertod Ermordete stören das technisch wirtschaftliche System nicht. Afrika ist unnötig, gewisse Bevölkerungsschichten sind unnötig.. Maximaler Konsens: daß sie nicht verhungern? Schön wärs!

Wenn ich morgen Herrn Groß treffe und als Sozialarbeiter berate, dann braucht es meinerseits eine Anstrengung: den Glauben, daß es Sinn macht, daß gerade ich ihn treffe; daß mein systemisches Denken zu seinem Weiterkommen beitragen kann, daß es sich für die AMS lohnt, mich eingesetzt zu haben, daß die AMS beitragen kann zu einer humanen Gesellschaft...

Ich glaube sehr wohl, daß jeder humanistische Kraftakt Sinn macht.

Mir fällt noch eine Geschichte aus einer Geschichte von Paul Coelho ein: Ein Verhaltensforscher bei Schimpansen auf Sumatra oder Borneo brachte einer Schimpansin bei, Knollen vor dem Essen zu waschen. Sie begriff es und tat es regelmäßig. Andere Schimpansen folgten ihrem Beispiel. Bald taten es auch die übrigen Affen auf Sumatra oder Borneo ohne daß sie Kontakt hatten zu dieser Schimpansengruppe. War die Zeit reif zum Knollenwaschen vor dem Essen? Eine Geschichte aus einer Geschichte...

Walter:

Die Idee von gegenseitiger Absicherung gab es tatsächlich schon vor der Industrialisierung, und nicht nur in den Gilden, sondern auch in allen Dorfgemeinschaften, und zwar genau mit dem von Conny genannten Prinzip, es könnte ja jedem von uns passieren, d.h., vor Ansehen von Unterschieden. Nur so ist übrigens auch in einem demokratischen Staat - der also rein formal gesehen von allen Bürgern gemeinsam geleitet wird - soziale Absicherung logisch sinnvoll vorstellbar: Als Vereinbarung, wie man miteinander umgehen will, wenn "wir" "Einen von uns" nicht mehr an den normalen Existenzmöglichkeiten teilhaben lassen wollen, weil der Konflikt zu weit eskaliert ist, so daß die ganz normale Nachbarschafts-, Familien- Freundes- etc.- Hilfe nicht mehr funktioniert. Dieses "wir" und "Einen von uns" macht deutlich, daß diese Vereinbarung vor Ansehen von Unterschieden stattfinden muß, das heißt, es ist eine Vereinbarung, die nicht die nicht-Betroffenen treffen, es ist keine Vereinbarung der Integrierten, wie mit den nicht Integrierten umzugehen ist, sondern es ist eine Vereinbarung darüber, wie Menschen - zumindest in dieser Gemeinschaft - miteinander umgehen wollen, so wie es eine Vereinbarung darüber gibt, wie "wir" damit umgehen, wenn "Einer von uns" stiehlt. Ich möchte bitte nicht darauf hingewiesen werden, daß das von vielen Leuten anders gesehen und gehandhabt wird: Ich bin kein Träumer mit rosaroter Brille. Was ich gesagt habe, ist, was in einer demokratischen Gesellschaft juridisch gesehen Sinn macht. Darüberhinaus sind immerhin alle Gesetze auch aus derselben Logik heraus Gesetze, die von allen an der Gemeinschaft Beteiligten gemeinsam beschlossen wurden. Es wäre immerhin interessant, sich damit zu beschäftigen, wie es möglich ist, daß ein derart elementar aus den Grundlagen demokratischen Denkens abzuleitendes Prinzip oft nicht gesehen wird. Die einzige in einer Demokratie denkbare Alternative, soweit ich das sehen kann, wäre, daß - wieder von allen - miteinander ausgemacht wird, daß jeder schaut, wo er bleibt, und die anderen sich darum nicht kümmern brauchen.

Ich weiß allerdings im Moment nichts darüber, wer, außer christlichen Almosenspendern, den Leuten half, die nicht in irgendeiner Gemeinschaft als anerkannte Mitglieder lebten. Wer nirgends Bürger war, der hatte wohl nicht viel Absicherung. Und in der beginnenden Industrialisierungszeit wurden auch diese Menschen gebraucht. Auch die, die nirgends hingehörten. Die noch nicht einmal wußten, daß es unehrenhaft ist, zu verhungern oder sonstwie zu verelenden. Zunächst wurde denen beigebracht, daß sie auch ein Recht - und eine Pflicht - zu einem rechtschaffenen Leben haben. Dann haben sie sich, als man diese Pflicht zu weit ausgenützt hat, zusammengetan und auf die Beine gestellt. Immer wenn ich solche Geschichten von Menschen lese, die in dieser Zeit öffentlich auftraten, um über Menschenrechte, Frauenrechte oder Gewerkschaften zu reden, bin ich wieder verwundert, wie weit man diese Leute machen hat lassen: War das Kapital zu menschlich, zu dumm oder zu abhängig, um hier rechtzeitig einzugreifen? Man hat in allen Zeiten Sklavenaufstände niedergeschlagen: Hier hat man sich der Zeit bedient - warum?

Und was den weiter vorhandenen Bedarf an Arbeitskräften betrifft: Da bin ich nicht gar so optimistisch. Man braucht nicht so viele Menschen, um eine Maschine zu konstruieren, zu bedienen und zu warten, die hundert Felder beackern kann, wie man Menschen braucht, um das Feld ohne Maschine zu beackern. Ich bin einige Male im türkischen Binnenland herumgefahren und habe diese "menschlichen Erntemaschinen" herumfahren gesehen: Ein Traktoranhänger mit vierzig Frauen drauf. Die werden dann auch von einem Mann beaufsichtigt, während sie Baumwolle pflücken. Und man braucht noch weniger Menschen, wenn es Automaten gibt: Die konstruieren sich nämlich großteils schon selbst. Das einzige, was derzeit noch für das Vorhandensein der weniger Betuchten spricht, ist, daß die derzeitige Wirtschaft das Reichwerden dadurch definiert, daß man vielen Leuten etwas möglichst Teures verkauft. Mein Steuerberater hat gemeint, die Arbeitsplatzbeschaffung werde sich stark in Richtung Dienstleistung entwickeln, und er hat ja recht, in den letzten Jahren haben die sozialen Funktionen einen wahren Arbeitskräfteboom durchgemacht, während fast alle anderen stagnieren oder zurückgehen. Aber damit der Dienstleistungssektor sich in größerem Ausmaß auch auf die privaten Bereiche wie etwa Mittelsstandshaushalte ausbreiten kann, muß halt der Wert solcher Arbeitskraft schon sehr niedrig sein.

Ich freue mich über Bernhards Beitrag, der darauf hinweist, daß es auch mal Gesellschaften gegeben hat, oder vielleicht noch rudimentär gibt, die darauf aufbauen, daß die Zukunft von der Kooperation abhängt. Leider scheint das in einer Zeit, in der man auf die Einzelnen nicht so angewiesen ist, nicht mehr sehr zu stimmen. Und es läßt sich auch logisch zeigen, daß Humanismus eine Sache von Nischen ist und nicht eine Sache des Fortschrittes. Aber das ist auch eine längere Geschichte.

Tatsache ist jedenfalls, daß diese Erweiterung der Idee, sich gegenseitig nicht im Stich zu lassen, von kleinen Gemeinschaften auf das "Gobal Village" nicht gerade eine lange Geschichte hat. Bernhards Satz: "Ich denke, dass diese Technologie veranlasst, dass wir grundsätzlich menschliches Leben als zerstörbar gelten lassen", kann sich leider nicht einmal auf eine ernsthafte Vergangenheit beziehen. Unsere Welt ist früher auch nicht menschlicher gewesen als heute, sie ist nur heute leichter zu zerstören. Kurz begonnen und zerronnen. Vielleicht war man nur einfach, als die Idee aufkam, zu überrascht, um schnell eine entsprechende Gegenstrategie zu entwickeln? Jedenfalls waren und sind die, die gehofft hatten und hoffen, daß diese Entwicklung sozusagen den Fortschritt der Menschheit zum Übermenschen darstellt, vielleicht (neben der Fragwürdigkeit dieser Idee überhaupt), eben doch sehr optimistisch.

Unmenschlichkeit hat es immer gegeben, nur die Technologie für diese riesige Ausbreitung gab es früher nicht. Ich möchte vielleicht daran erinnern, daß bis vor einigen Jahrzehnten Sklaven nicht als Menschen gesehen wurden, was immerhin bedeutete, daß man mit ihnen machen durfte, was man wollte, ebenso kurz erst die Frauen ihr Recht auf eigene Existenz bekommen haben, daß Kriegsgefangene (und alle Kriegsverlierer sowie deren Anhang) erst seit sehr kurzer Zeit irgendeinen anderen Wert haben außer, sie für all das zu benützen, was man zuhause nicht darf.

Und - um die Relativität noch weiter zu treiben: Die jüngste Bewegung ist die, die den Tieren das Recht auf eine menschenwürdige Existenz zusprechen will. Vertreter der Pflanzenrechtsbewegung sind mir noch nicht bekannt. Die Forderung nach Rechten breitet sich aus, die Realisierung bleibt - vielleicht - gleich wie immer.

Humanismus ist eine Nischenbewegung. Keine Entwicklung der Menschheit. Bernhard hat recht.

Aber vielleicht hilft uns auch hier I. K. Berg's systemische Kehrtwendung. Und es ist sicher kein Zufall, daß mir diese Idee erst zwei Wochen später einfällt als die negativistische Kritik: Wie kommt es, daß es überhaupt Menschen gibt, die sich für das Wohlergehen anderer interessieren, die bereit sind, etwas für andere zu opfern, andere als mit gleichen Rechten ausgestattet zu sehen? Ist es nicht unglaublich, daß wir immer wieder auf etwas verzichten, nur um vielleicht anderen nicht zu schaden? Wie ist es möglich, daß es immer wieder Bernhards geben wird, die finden, es lohne sich der Einsatz für das Zusammenleben der Menschen? Und wo, auf einer Skala zwischen 0 (jeder frißt jeden, so gut er kann) und 100 (kein Mensch tut einem anderen etwas zuleide, solange es überhaupt vermeidbar ist), befindet sich unsere Welt, unser Alltag etc.? Sollten wir nicht eigentlich uns freuen, daß es überhaupt die Idee gibt, daß Menschen eben Menschen sind und daher zumindest ähnliche Rechte haben, wie wir sie haben wollen? Wie hat die Menschheit das geschafft? Und wie schaffen wir es, daß es täglich und immer wieder geschieht, obwohl jede Logik dagegen spricht, weil schließlich der Friedliche den Kriegerischen nicht abschaffen kann, umgekehrt aber sehr wohl? Vielleicht hülfe auch hier Lösungssprache statt Problemsprache?

Und bitte: ich meine das nicht zynisch!!! Es hat, glaube ich, mehr mit Christians radikaler Bescheidenheit zu tun:

Christian:

Ich denke, ich werde einfach versuchen ein paar Gedanken niederzuschreiben, die mir im Zusammenhang mit der systemischen Sozialarbeit zur Zeit so durch den Kopf gehen. Vielleicht gelingt es so anzudocken. Mein Thema ist seit langer Zeit schon die Frage, wie und ob überhaupt sich die Systemische Sozialarbeit im sozialpädagogischen Kontext anwenden läßt. Und stetig, langsam, aber doch taucht da und dort eine Ahnung auf, wird manches plötzlich klarer. Diese Erfahrungen genauer zu beschreiben, würde hier den Rahmen sprengen und die Kurzfassung wird wohl bloß langweilen oder aber verwirren. Trotzdem möchte ich ein paar Gedankenfetzen herumschleudern, die möglicherweise vertraut sind oder aber anregen (beides wäre O.K.).

Mir scheint es zur Zeit so, daß die Grenzen dieses systemischen Ansatzes nur an einem Punkt festzumachen sind: in mir! Dort wo mir der Mut (oder was auch immer) fehlt, radikal im Sinne der grundlegenden Postulate weiterzudenken, dort wird der Ansatz unbrauchbar. Klar, schließlich lasse ich mich dann von der vorherrschenden Wahrheit/Wirklichkeit einkochen und werde bloß zum weiteren Mitspieler einer festgefahrenen Kommunikation, die sich ja nur deshalb immer wieder gleich reproduzieren kann, weil die Wahreit/Wirklichkeit für alle Beteiligten unabrückbar feststeht. Genauso wie die Klienten klammere ich mich um meine Wahrheit/Wirklichkeit bzw. die der Institution, der professionellen Helfer, usf. und wundere mich, dass dabei nichts neues herauskommt. Wenn ich aber mal ansatzweise versuche, tatsächlich radikal meinen Arbeitsbereich zu denken, dann merke ich, die Folgerungen daraus wären ebenso radikal! Vielleicht ein bißchen zu radikal ...?

Ein anderer Gedankenfetzen ist der, dass ich, ausgehend von der Beschreibung des Menschen als autopoietisches System, Abschied nehme von der Vorstellung Menschen (von Körpergewalt einmal abgesehen) direkt beeinflussen zu können. Meinen Einfluss und meine Verantwortung habe ich dann wohl lange Zeit überschätzt. Ich kann etwas anbieten und schauen, ob mein Gegenüber damit etwas anfangen kann. Fertige, "allgemeingültige" Antworten (Theorien) sind in dem Augenblick nichts mehr wert, in dem der Andere nichts damit anzufangen weiß. Letztendlich stehe ich ziemlich ahnungslos da und begebe mich auf einen Prozeß, von dem ich nicht weiß, wohin er führt. Dies in der Praxis tatsächlich durchzuhalten, kratzt gehörig an meine Grenzen. "Radikale Bescheidenheit" würde ich es nennen. Vielleicht ein bißchen zu radikal ...?

Es gäbe noch etliche andere "Fetzen" (beispielsweise vom Zwangskontext, der hie und da wie eine Seifenblase plötzlich zerplatzt, wenn es mir gelingt, mich von meinen eigenen Zwang frei zu machen - und zwar radikal!), aber der Schlaf ruft mich nun zu Bett (auch ziemlich radikal).

Walter:

Gleichzeitig denke ich aber hier auch an unsere Auseinandersetzungen mit dem schwierigen Thema "Große Systeme": Es ist offenbar enorm schwierig, einem sozialen System, vielleicht aber allen Wesen, die man als stärker erlebt als sich selbst, anders zu begegnen als mit der Idealforderung und wenn diese nicht erfüllt ist, dann mit Kritik. Ich sehe schon hier bei unserem Beispiel, wie schnell ich selbst mit dem "Aber..." bei der Hand bin: Man kann doch nicht davon ausgehen, daß die Bedingungen der Welt einfach nicht nett sind! Daß es ein Wunder ist, daß es Menschen gibt, die auch für andere da zu sein bereit sind, etc.!

Zum Beispiel ist Thomas auf eine Sache gestoßen, wo das große System sich ausgedacht hat, wie er vorgehen soll:

Thomas:

Ich möchte euch kurz ein Beispiel aus meiner frühen Praxis erzählen: Ich habe vor etwa 7 Jahren die Betreuung einer alleinerziehenden Mutter übernommen. Von der Jugendwohlfahrt (=einziger möglicher Auftraggeber des Dienstes) wurde mir mitgeteilt, dass nicht ganz sicher sei, ob die Frau die Kinder mißhandelt, da die Mutter offensichtlich psychische Probleme habe und es bei den Kindern immer wieder Anzeichen gäbe, dass Mißhandlungen stattfinden. Z.B.: eingeschüchtertes Verhalten, zum Teil nur schwer erkläbare Verletzungen, Lärm in der Wohnung, etc. Es gäbe allerdings keine klaren Beweisen. Von mir als Fachmann erwarte man sich, dass ich unverzüglich Meldung an die Jugendwohlfaht mache, wenn sich die Beweise erhärten und dass die Beweise in einer für das Gericht geeigneten Form dokumentiert werden müssen. Als offiziellen Auftrag bekam ich die Aufgabe, der Frau bei der Renovierung der Wohnung behilflich zu sein (so wurde es jedenfalls der Frau verkauft). Dazu muß noch gesagt werden, dass wir zu damaligen Zeitpunkt einen Rahmenvertrag mit dem Land (als Träger der Jugendwohlfahrtsbehörde) hatten, der unsere Kapazität festlegte und uns zur Übernahme von Aufträgen verpflichtet, wenn die Auslastung nicht gegeben war. Dass das nicht gut gehen kann, ist wohl jedem/r klar, der denken kann. Es handelt sich hier aber auch um den krassesten Fall, den ich bis jetzt erlebt habe.

Walter:

Gestern abend hatten wir hier in Wien wieder einmal Sitzung der Arbeitsgruppe "Große Systeme", und ich hatte eine kleine Erleuchtung. Der Punkt, den ich lange Zeit nicht beachtet hatte, war, daß man das große System ebenso als Klient betrachten muß wie die sogenannten Klienten, denn der Konflikt spielt sich ja zwischen diesen beiden ab. Man muß das auch dann, wenn das große System einem Geld gibt. Ein Beratungsauftrag hängt ja nicht davon ab, ob man von den Beratenen Geld bekommt oder nicht, ja manchmal meint man sogar, die, die Geld hergeben, seien motivierter. Schlecht ist es natürlich, wenn man vor einem Klienten Angst hat. Aber ich glaube, man sollte die Konsequenzen dieser Betrachtungsweise erst 'mal theoretisch durchdenken, bevor man aus lauter Angst vergißt, den Auftraggeber als Klienten zu sehen.

Wir brauchen also jetzt als nächstes Ideen dazu, wie man mit Klienten umgeht,

die einen in dieser oder jener Art zu erpressen versuchen,

die einem sagen, was man wie zu tun hat,

Vorschriften machen,

Geheimaufträge geben,

undsoweiter.

Vielleicht wäre der erste Schritt eine Sammlung aller Assoziationen, eine Vervollständigung dieser Liste.

Und dann müssen wir herausfinden, wie wir mit solchen Klienten umgehen können. Und ich hoffe, daß da nicht herauskommt, daß es keine andere Möglichkeit gibt, als den Beratungsauftrag abzulehnen. Wenn es das ist, dann wäre Sozialarbeit in meinem Sinne praktisch unmöglich.

Es ist aber auch so ähnlich wie mit Bernhards Institution:

Bernhard:

 

Unser kurzer Gedankenaustausch über große Systeme als Klienten erreichte mich in einem Moment, als ich gerade mit einem Fall befasst war: einer Familie und dem Ministerium für Familien. Und ich als Sozialarbeiter dazwischen.
Die Familie: Der Vater schwer geschädigt durch eine Zyste im Kopf, Notstandshilfeempfänger (€ 500,00 pro Monat). Er arbeitete zuletzt vor 5 Jahren, die Firma gibts nicht mehr.
die Mutter hat keine Arbeit, ist Hausfrau, kümmert sich um Kinder und Mann, der nicht dauernd belastungsfähig ist, sie erhält Kinderbeihilfe.
Die Familie lebt in bitterer Armut in einem Haus mit ca. 45 m2 Wohnfläche.
Sozialhilfe - Richtsatzergänzung lehnen sie ab, da diese von ihren Eltern per Regress zurückgefordert würde und sie dadurch mehr Konflikte mit diesen hätten als ihnen lieb ist...
Ich half ihnen dabei, einen Antrag beim Familienhärteausgleichsfonds im entsprechenden Ministerium zu stellen (5 Seiten ausfüllen...).
Das Ministerium schickte ein Antwortschreiben: Herr B solle einen Auszug seiner gänzlichen Versicherungszeiten bringen, einen Nachweis der letzten Arbeitstätigkeit und entsprechende Lohnbestätigungen, Frau B soll ihr (Nicht)Einkommen bestätigen und Herr B soll sämtliche Mehrbelastungen aufgrund seiner Krankheit mit Belegen nachweisen.
Ich dachte an Zynismus des Ministeriums und Ähnliches.
Dann dachte ich an unser Gespräch über große Systeme als Klienten.
Als ob das nicht eh klar wäre, denn wie sonst wäre die Vermittlungsfunktion des Sozialarbeiters zu verstehen. Gleichzeitig merkte ich wie ein Druck in mir abfiel: Klienten wissen oft zu wenig. Klienten muss ich dort abholen, wo sie stehen. Vorher sagen sie halt alles Mögliche und auch Komische. Und ob ich das zynisch empfinde liegt ja nicht unbedingt an deren Absicht!
Am nächsten Tag rief ich im Ministerium an und es entwickelte sich eben so, wie ich annehmen konnte, wenn ich "normal" mit jemanden telefoniere über eine Sache, von der die betreffende Person als Vertreterin der Einrichtung noch viel zu wenig weiß. Anfangs kühl, bedankte sie sich zum Schluss über meine Hilfe, damit sie dieser Familie helfen wird können.
Eine Krankenkassenbestätigung und eine vom Arbeitsmarktservice sowie ein kleiner Bericht von mir mit Kosteneinschätzungen und Vorschlägen werden reichen.
Was hat mir geholfen? Die Umettikettierung von Ministerium zu Klient und die nächste dazugehörige Überlegung: Was tu ich bei einem Klienten beim Erstkontakt? Von einem Ministerium erwarte ich, dass es alles weiß, von einem Klienten nicht.

Walter:

Jedenfalls scheint die Idee, daß auch Institutionen Klienten sind (nämlich insoferne sie "Gegenübers" des "identifizierten Klienten" sind), gar nicht so sehr Allgemeingut zu sein. Besonders interessant wird es ja dann noch, wenn ein solcher Klient auch noch über meinen Job entscheidet: Der "Arbeitgeber". Die meisten Leute denken ja, daß der über seinen "Auftrag" bestimmt, was sie zu tun haben: Gute Berater müßten aber wohl eher ihren Auftraggebern auch helfen, daß das richtige geschieht, oder? Was würdet Ihr von einem Automechaniker halten, der, wenn ich sage: "Der Wagen macht so ein komisches Geräusch, wechseln Sie mal das linke Hinterrad!", einfach das linke Hinterrad wechseln würde? Und was von einem, der antworten würde: "Darf ich das mal ausprobieren?", eine kurze Probefahrt machen würde und dann - eventuell nach Rücksprache mit mir - die Ventile einstellt, so daß dann das Geräusch nicht mehr zu hören ist?

Natürlich wird es schwierig, wenn ich sage: "Aber es gibt ein Gesetz, das sagt, daß sie das linke Hinterrad wechseln müssen!" Wenn man da keinen Ausweg findet, dann macht man sozusagen unfreiwillig irgendetwas, was ich allerdings nicht als Sozialarbeit bezeichnen würde. Ich glaube, niemand braucht sich zu schämen, wenn er, um seinen Job nicht zu verlieren, auch mal Unsinn macht.

Man kann es offenbar nicht oft genug sagen (und auch sich selbst daran erinnern): Wenn wir hilfreich sein wollen, dann müssen wir allen Parteien ihre Existenz in gleicher Weise zugestehen, können nicht erwarten, daß Forderungen zu stellen, die jemand nicht schon erfüllt, nützlich und hilfreich ist. Manchmal, wenn man der Stärkere ist, kann man ja etwas durchsetzen, aber normalerweise ist ganz klar die kooperative Basis die kreativere und erfolgversprechendere, und kooperativ kann ja wohl nur heißen, daß man davon ausgeht, daß jeder Beteiligte, jede beteiligte Partei, also auch eine Instituion oder die Welt, eigentlich schon tut, was ihr zumutbar ist.

Manchmal braucht es dazu eben eine kleine systemische Kehrtwendung....

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Das Fremde ist immer und überall...

Veröffentlicht in:  Judy, M. & G. Hartmann (Hrsg.): Unterschiede machen. Managing Gender & Diversity in Organisationen und Gesellschaft. Wien 2005
Meine Damen und Herren, ich habe einmal in einem Buch über Delphine – denen ja von vielen Wissenschaftlern eine ebenso große Intelligenz zugeschrieben wird wie uns Menschen – gelesen, daß diese Tiere, wenn sie einen Menschen ihrer Freundschaft versichern wollen, mit großem Tempo auf ihn zu schwimmen, um im letzten Moment abzubiegen und an ihm vorbei schwimmen. Nun, ich würde mich da zunächst mal nicht sehr freuen über einen solchen Freundschaftsbeweis. (Außer natürlich, daß ich es nochmal überlebt habe). Mich erinnert das eher an meine Kindheit, wo sich Kinder, die sich nicht so ganz grün waren, so ähnliche Gesten zeigten, und das bedeutete damals: "Nur damit Du weißt, was passiert, wenn Du mich provozierst!" Wenn man jetzt noch bedenkt, daß Delphine Haie, ihre natürlichen Feinde, durch rammen mit der Schnauze töten, dann wird man verstehen, daß ich die Kultur der Delphine fürchte. Ich mißtraue ihnen zumindest so weit, daß ich noch nie, wenn ich welchen begegnet bin, ins Wasser gesprungen bin. Auf der anderen Seite habe ich den Eindruck, mich mit Ihnen auf die entsprechend sichere Distanz sehr gut zu verstehen. Sie spielen mir meist eine unglaubliche Show vor, wenn ich mich mit der Kamera über Deck beuge, und verschwinden erst wieder, wenn ich die Kamera weglege und mich um andere Dinge kümmere.
Der Autor des Delphinbuches hat es erlebt – nehme ich an – und er hat seine Interpretation des delphinischen Grußes überlebt. Er wird es auf der Welt etwas leichter haben als ich, weil er sich vor Delphinen nicht mehr in Acht nehmen muß.
Woher wissen wir, was das bedeutet, was uns irgend jemand anderer als sein Lebenszeichen, als sein Verhalten zeigt? Wir wissen es gar nicht, wir können nur raten, und dann hoffen. Erst wenn wir mit jemandem öfter zu tun gehabt haben, können wir anfangen vorherzusagen, wie der andere auf uns reagieren wird. (Abgesehen natürlich von der Laune, die er in unsere Begegnung schon mitbringt..)
Und wenn Sie nun glauben, daß es dieses Problem nur zwischen Delphinen und Menschen gibt, dann möchte ich Ihnen noch ein paar Geschichten erzählen, die sich zwischen Menschen von verschiedener kultureller Nähe oder Distanz abgespielt haben. Es sind keine erfundenen Geschichten, ich habe sie alle miterlebt oder Leute beraten, die sie miterlebt haben.
Ich bleibe zunächst noch bei einem Erlebnis von mir, dem ersten nämlich, wo mir ein kulturbedingtes Nicht-Verstehen ganz konkret bewußt geworden ist: Es war an einem Sommertag am Neusiedlersee. Ich war mit einem Freund im Segelboot unterwegs, und am Nachmittag sahen wir eine hübsche Kapelle auf einem Hügel am Ufer. Wir beschlossen, an Land zu gehen, um die Kapelle aus der Nähe zu bewundern und entdeckten, daß es sich um eine Friedhofskapelle handelte, mit einem Friedhof rundherum. Ein sehr hübscher Friedhof, sehr gepflegt, viele Bäume, viel Grün und viele Blumen um die Grabsteine herum. Alle Grabsteine – ohne Ausnahme – waren aus schwarzem Marmor.
Je nun, warum auch nicht? Aber erstens sieht man selten einen Friedhof, wo alle Grabsteine aus demselben Material sind und von der gleichen Farbe; und zweitens war dieser Friedhof nicht mehr als zwanzig Kilometer entfernt von St. Margareten, einem Steinbruch, wo weißer Marmor abgebaut wird. Also waren wir verwundert.
Gerade als wir uns darüber unterhielten, kamen zwei offensichtlich einheimische Damen den Hügel herauf, beide in schwarzer Tracht, dem Alter nach vielleicht Mutter und Tochter. Man begrüßte einander freundlich, sprach ein paar Worte über das Wetter, und dann wollte ich meine Neugier befriedigen und fragte, was es denn mit diesem Friedhof auf sich habe, warum denn alle Grabsteine schwarz seien.
Ganz freundlich klärten sie mich auf, wer der Steinmetz sei, bei dem hier alle die Grabsteine kaufen.
Ich fragte noch einmal: Aber warum denn alle schwarz, wo doch St. Margareten hier so nahe liege.
Sie erzählten mir, woher dieser Steinmetz seinen Marmor beziehe.
Ich weiß nicht mehr, welche Fragen ich alle beantwortet bekam, jedenfalls nicht die, warum niemand den nahen weißen Marmor verwendete. Zu guter letzt gab ich auf und dachte mir, wenn ich jetzt weiterfrage, wird es ungemütlich. Wenn ich wirklich noch etwas über dieses Problem erfahren wollte, müßte ich wahrscheinlich einfach über alles reden, was sich so ergibt, vielleicht würde ich es dann irgendwann von selbst verstehen. Vielleicht würde es dann auch mir so selbstverständlich sein, daß ich wiederum, wenn jemand die gleiche Frage mir stellen würde, sie nicht verstehen könnte. Irgendwie scheinen diese Frauen nicht verstanden zu haben, was ich mit der Frage will, und das kann ich mir nur so erklären, daß es ihnen so selbstverständlich ist, daß sie sich nicht einmal vorstellen können, daß man so etwas fragen kann. Dann heißt das, daß es da einen Kulturunterschied gibt.
Es könnte aber auch anders aussehen: Eine Bekannte von mir, eine Türkin, die sehr gut Deutsch spricht und in Wien lebt, hat ein Ferienhaus am Meer in der Türkei. Ein Fischer, der dort lebt, spielt sozusagen ihren Hausmeister. Er schaut auf ihr Haus, wenn sie nicht da ist, und führt sie und ihr Kind zum Beispiel auf eine Insel zum Baden, wenn sie da ist. Er ist ein sehr angenehmer, ruhiger Mensch und sehr geschickt. Eines Tages fragte ich ihn, ob der Name seines Schiffes etwas bedeute. Nun, es war der Name irgendeiner Verwandten oder so. Ich fragte noch einmal, ob das Wort, der Schiffsname, eine Bedeutung habe: In der Türkei haben fast alle Namen eine noch bekannte Bedeutung. Er erklärte noch einmal. Nun, in altbewährter Manier und als höflicher Mensch drang ich nicht weiter in ihn. Meine Bekannte jedoch, darauf angesprochen, fragte ihn viermal. Beim viertenmal sagte er, daß es so etwas wie die aufblühende Rose heißt. Wie sie denn das nun herausgefunden hat? Nun, meinte sie, er hat nicht gleich verstanden, also habe ich öfter gefragt. Zum Schluß hat er doch noch erraten, was sie wollte. So einfach ist das.
In einem Seminar zum Thema Kulturkonflikte wurde in einem Rollenspiel folgende Szene gespielt: Eine Verkäuferin in einem Schuhgeschäft bringt Schuhe. Immer noch Schuhe und immer mehr Schuhe. Die Kundin hat schon längst gesagt daß sie etwas anderes will, und alle neu gebrachten Schuhe sind ebenso unpassend wie die vorherigen. Die Kundin sagt es wieder, sie wird ungeduldig. Die Verkäuferin - übrigens indischer Herkunft – bringt noch Schuhe, solange, bis die Kundin wütend wird und einfach aufsteht und geht.
Die Frau, die die Verkäuferin spielte, erklärte uns Österreichern dann, daß man in Indien sein Gesicht verliert, wenn sich herausstellt, daß man die Wünsche des Kunden oder Gastes nicht befriedigen kann. Natürlich wird nun eine Österreicherin nicht deshalb Schuhe kaufen, die sie nicht haben will. Am Ende ist die Kundin wütend und die Verkäuferin kommt am nächsten Tag nicht mehr zur Arbeit, weil sie ihr Gesicht verloren hat.
Wir haben dann in einer längeren Diskussion eine Lösung gefunden, wie man eine solche Situation handhaben könnte: Die Kundin könnte sagen, daß sie morgen noch einmal vorbeikommt. Das, laut Aussage der Inderin, würde ausreichen, um das Gesicht der Verkäuferin zu erhalten, und sie würde doch genau wissen, was gemeint ist. Auch für die Österreicherin erschien dieses Vorgehen zumutbar. Wir spielten es durch und alles war eitel Sonnenschein.
Was aber, wenn diese Kundin dieses Verhalten jetzt bei einer schwedischen Freundin ausprobiert, anhand des Kuchens, der ihr nicht schmeckt? Dann steht womöglich die Schwedin am nächsten Tag vor ihrer Tür, und bringt den ganzen Kuchen?
Kürzlich habe ich in dem Buch "Tanz der Kulturen" von Joana Breidenbach und Ina Zukriegl von einer Waschmittelfirma gelesen, die ihre Werbekampagne im mittleren Osten abbrechen mußten. Sie hatten auf ihrem Plakat die schmutzige Wäsche links und rechts die saubere dargestellt. Im mittleren Osten liest man aber von rechts nach links, so daß man bei den Leuten die Idee weckte, das Waschmittel könne sehr gut saubere Wäsche in schmutzige verwandeln.
Wann, wie und wodurch aber findet man heraus, wie es geht? Was der/die Andere unter dem versteht, was ich tue oder sage; wie findet man heraus, was der/die andere meint mit dem, was er/sie tut? Die österreichische Kundin kann nicht, bevor sie in ein Geschäft geht, sich über sämtliche Kulturen, denen sie begegnen könnte, informieren! Und die Inderin weiß vielleicht auch noch nicht, daß die Welt hier so anders ist als ihre!
Kulturunterschiede. Zwischen fernen Kulturen wie Indien und Österreich, oder zwischen nahen Kulturen wie Graz und Jois am See. Oder auch zwischen der Herkunft des Hern Milowiz und der der Frau Büssler. Sie war Studentin bei mir, und machte mich wahnsinnig, indem sie mindestens zweimal pro Seminareinheit, während ich redete, mittendrin sagte: "Des is a Blödsinn!". Sie können sich vorstellen, daß ich mit der Zeit genervt war. Erst viel später kam bei einem gemeinsamen Gespräch heraus, daß es bei Büsslers zuhause ganz normal war, daß man, wenn man etwas nicht verstand, sagte: "Des is a Blödsinn!". Der andere erklärte dann, und alles war wieder in Ordnung. Ihr Freundeskreis hatte sich offenbar auch so entwickelt, daß es kein gröberes Problem gab. Und daß das in meinem Kreis (inklusive meiner Herkunftsfamilie) eine ordentliche Beleidigung war, war ihr bis dahin fremd gewesen.
Und das ist noch nicht alles. Sie glauben vielleicht, Menschen können einander nur durch ihre Rede verunsichern. Aber im fremden Land steht jede Geste, jede Bewegung, jeder Tonfall in Frage. Das wissen ja nun schon viele, daß in Griechenland – übrigens auch in der Türkei und offenbar auch sonst noch in einigen Ländern - diese Bewegung, dieses für uns herausfordernd wirkende Heben des Kinns, verbunden mit einem verächtlichen Herabziehen der Mundwinkel, vielleicht auch noch mit einem leichten Zungenschnalzen, nur einfach nein heißt.. Aber daß für sensible Menschen aus diesen Gegenden schon ein minimales Kopfheben mit leichtem Hochziehen der Augenbrauen ausreicht, wissen Sie das auch? Probieren Sie es einmal bei einem Rosenverkäufer (soferne er gerade meinem Stereotyp entspricht) im Restaurant am Abend. Der weiß dann sogar, daß Ihre Begleiterin nichts merken soll. Ja, das wissen wir jetzt. Aber was alles wissen wir nicht, was alles wirkt, ohne daß es uns oder auch den Anderen überhaupt bewußt wird? Ehe wir’s uns versehen, ist der andere beleidigt, findet uns unsympathisch oder unheimlich, und weiß selbst nicht, warum. Warum fuchteln die Franzosen? Die Geschichte stammt von Gregory Bateson, einem Biologen und einem der Urväter des systemischen Denkens, und die Frage stammt von seiner Tochter.
Nun, die Franzosen fuchteln mit den Händen, wenn sie mit jemandem reden. Und weil alle das tun, kriegt ein Franzose natürlich ein komisches Gefühl, wenn einer daherkommt und redet, ohne mit den Händen zu fuchteln. Was ist los mit dem? Ist er böse? Oder behindert? Oder einfach ein unhöflicher Mensch? So wollen die Franzosen nicht gesehen werden. Und deshalb fuchteln sie. Alle, sozusagen. Außer sie wollen auffallen. Dann fuchteln sie nicht.
Auch Sie können nicht in Ihrem Freundeskreis, wenn es dort üblich ist, sich mit dem bekannten Küßchen auf beide Wangen zu begrüßen, dieses verweigern, ohne daß man sich fragt, was mit Ihnen los sei. Ist das nicht praktisch? Ihre beste Freundin, Ihr bester Freund werden sofort fragen, was denn passiert sei. Aber einen Fremden fragt man so etwas nicht. Er würde es auch nicht verstehen. Wieso? Was soll passiert sein? Und jetzt ist der Phantasie Tür und Tor geöffnet.
Dabei ist das ja noch etwas, was uns bewußt ist. Das Fuchteln wahrscheinlich schon weniger. Aber was alles an unseren Bewegungen, an unserem Verhalten, ist gar niemandem bewußt, und hat ebenso starke Wirkungen – stärkere vielleicht, und nicht korrigierbare, weil wir es nicht reflektieren können?
Wie Sie sehen, bin ich in dieser Sache nicht sehr optimistisch. Und ich verstehe jeden, der lieber unter vertrauten Menschen ist, als unter fremden. Ich finde, wir können niemandem einen Vorwurf machen, der oder die sich in der Fremde unsicher fühlt, und niemandem, der sich in der "Heimat" – dort, wo er oder sie sich zu Hause fühlt - ärgert, wenn da Leute kommen, die die falschen Gesichtszüge und die falschen Bewegungen zeigen.
Ein Freund von mir, den ich einmal im Ausland darauf ansprach, warum er sich so schäbig anziehe, antwortete mir, er wisse ja nicht, wie es richtig wäre, deshalb sei es ihm lieber, es gleich gar nicht erst zu probieren. Kommt Ihnen diese Reaktion vielleicht bekannt vor? Sind deshalb Touristen oft so präpotent? Und sollten wir das nicht eigentlich auch verstehen?
Und damit kommen wir zu dem eigentlichen Problem: Es genügt ja nicht einmal, wenn wir verstehen, das nützt ja oft gar nichts! Natürlich kann ich verstehen, warum die Leute im Hafen von Martinšcica keine Touristen mit ihren Booten mögen. Ich habe ja selbst gesehen, wie sich manche aufgeführt haben, wie sie mit einem sechs Tonnen schweren Schiff an einem kleinen Fischerboot festgemacht haben, und dann mit den Stöckelschuhen über die Fischerboote an Land gestolpert sind! (Man kann auch ihnen das nur beschränkt übelnehmen, denn sie wußten es bestimmt nicht besser)
Nur leider: Es nützt nichts, daß ich sie verstehen kann. Sie wollen mich nicht mehr, weil ich auch ein Tourist mit Boot bin. Sie haben ihre Erfahrungen gemacht, und sie wollen sie nicht zehnmal machen. Wer weiß auch, was ich selbst alles getan habe, was ihnen recht gegeben hat? Ich bin nicht sehr weit in der Welt herumgekommen, kaum außerhalb von Europa, aber ich habe überall erfahren, daß man etwas falsch machen kann, schneller als man denken kann. Ich bin seit fast zwanzig Jahren regelmäßig in der Türkei unterwegs, und bin bis heute in sehr vielen Situationen unsicher, wie ich mich benehmen müßte.
Meine besondere Hochachtung gilt den Leuten, die die Selbstsicherheit und die Geduld haben, mit jemandem, der sich komisch, unmöglich oder wie benimmt, immer noch zu reden, obwohl sie in der stärkeren Position sind und genau so gut sagen könnten: Den wollen wir nicht. Das ist eine Leistung, die zwar dringend notwendig wäre, die man aber – meines Erachtens – von niemandem verlangen kann.
Trotzdem bin ich dafür, daß wir nicht nur die Hochachtung für die anderen haben, sondern uns auch selbst bemühen. Wir können also versuchen, auf Unterschiede aufmerksam zu sein. Wir können uns angewöhnen, bei kritischen Situationen eher an ein Mißverständnis als an Bosheit zu denken. Wir können dann versuchen, mit den anderen über das Mißverständnis zu reden. Und wenn das gelingt und wir zu einer Lösung kommen, wie das im Beispiel des Schuhvekaufes der Fall war, dann dürfen wir uns freuen.
Offen bleibt aber bei all dem immer noch, was passiert, wenn die anderen mal nicht wollen? Wenn es nicht zur Kultur der anderen gehört, daß man mit Idioten, die mit Stöckelschuhen über Fischerboote stolpern, redet wie mit richtigen Menschen?
Irgendwann kommen wir zu der Frage, wer bestimmen kann, wann das Gespräch zu Ende ist. Und dann wird geurteilt und gehandelt. Ich habe sehr lange gebraucht, bis ich verstanden habe, daß viele Menschen, wenn ich mit ihnen darüber reden wollte, wie wir miteinander umgehen, den Eindruck hatten, ich wolle sie besiegen. Sie hatten leider recht: Ich tat das (und tue es wahrscheinlich immer noch) doch meist dann, wenn ich anders nicht zu dem kam, was ich wollte. Ein Gespräch über Kommunikation ist nur dann möglich, wenn beide Seiten sich gerade darauf einlassen wollen, wenn beide Seiten – zumindest vorübergehend – auf ihre Regeln und Möglichkeiten zu verzichten bereit sind, vielleicht um eines späteren Gewinns willen.
Eine herrliche Falle zum Thema Metakommunikation habe ich nicht selbst erlebt, bin allerdings selbst darauf hereingefallen. Ich war als Supervisor damit befaßt.: Es ging um eine albanische Familie, deren Sohn in der Schule sehr schlecht war. Die Lehrerin bat die Eltern zu sich, diese kamen auch prompt, und der Vater bedrohte die Lehrerin, er werde ihr Haus anzünden, wenn sie dem Jungen weiter Schwierigkeiten bereite. So mußte als nächstes die Direktorin einspringen und auch deren Haus wurde bedroht. Aus irgendwelchen Gründen ging die Sache weiter bis zur Landesschulinspektorin, die auf die Drohung hin, der Herr werde das Gebäude des Landesschulrates anzünden, Polizeischutz anforderte.
An dieser Stelle kam die Falle: Wir versuchten in einer Supervisionsgruppe alle gemeinsam, eine Lösung zu finden, wie wir dem Herrn aus Albanien soviel Anerkennung zollen könnten, mit ihm so kooperativ etc. umgehen könnten, daß er auch mit uns kooperieren würde.
Die Geschichte ging aber anders weiter: Die Polizei ärgerte sich über den Mann, dessentwegen sie ein großes Haus zu bewachen hätten, und nahmen ihn wegen gefährlicher Drohung in Haft. Von da an war der Albaner der kooperativste Mann, den die zuständige Sozialarbeiterin je gehabt hatte, und tat alles, was ihm zur Hilfe für seinen Sohn vorgeschlagen wurde. Ich hoffe, es glaubt jetzt niemand, dieser Mann sei böswillig gewesen! Eher denke ich, bei ihm zuhause war es wohl üblich, daß der stärkere bestimmt, was zu geschehen hat. Vielleicht hat Bush ja doch recht, und wird, nachdem er den Rest der Welt besiegt hat, nur mehr Freunde auf der Welt haben.

Interview zum Text

M.J.: Dieser Text ist dein Beitrag zum Thema „interkulturelle Kompetenz“. Wie ist die Idee zu ihm entstanden?
W.M.: Die Stichworte habe ich während eines Vortrages über interkulturelle Kompetenz aufgeschrieben. Der Vortrag gefiel mir sehr gut, nur war er mir zu optimistisch. Ich dachte mir, da bleiben so viele Fragen offen, insbesondere das Problem der Metakommunikation. Es muß ja schon für das Besprechen von Mißverständnissen, für das Vereinbaren von Regeln gemeinsame Regeln geben. Aber die gibt es natürlich nicht im Voraus im Supermarkt. Die können nur durch probieren entwickelt werden. Und in eine Begegnung trägt natürlich jeder seine mitgebrachten Spielregeln hinein.
So schrieb ich meine Beispiele zusammen, und hoffte, ich würde noch Antworten finden. Aber ich glaube, ich habe nicht viele Antworten gefunden, außer der einen: Meine Hochachtung vor denen, die es immer wieder versuchen, vor denen, die immer wieder riskieren, am falschen Dampfer zu sein. Verallgemeinerbare Lösungen gibt es nicht und kann es nicht geben.

M.J.: Du eröffnest deinen Text mit der Delfin-Geschichte und einer erkenntnistheoretischen Frage: „Woher wissen wir, was das bedeutet, was uns irgend jemand anderer als sein Lebenszeichen, als sein Verhalten zeigt?“ Der Text folgt dann aber keiner wissenschaftlichen Schreibtradition, sondern einer des Geschichtenerzählens, der Uneindeutigkeit und Mehrgestaltigkeit. Was ermöglicht diese Form in Bezug auf die Eingangsfrage?
WM: Nun, ich weiß nicht wirklich, was die Eingangsfrage war. Der Titel heißt: Das Fremde ist immer und überall. Ich versuche einfach, nachvollziehbar zu machen, daß Verständigung ein seltener Zufall ist. Und, daß wir nicht glauben sollten, daß wir unseren Nachbarn so viel besser verstehen als den Herrn aus Afghanistan. Wollte ich einer wissenschaftlichen Tradition folgen, so liefe ich Gefahr, die Menschen nach dieser Tradition einzuordnen. Ich möchte aber deutlich machen, daß die Welt aus der  Sicht der anderen genauso gut strukturiert wird wie aus unserer. Da stehen sich einfach zwei Wesen gegenüber, von denen der eine glaubt, er befindet sich im Zirkus in Rom, und der andere vielleicht, er sei bei einem Friedensmarsch. Entsprechend unterschiedlich wird jede Bewegung, jedes Wort verstanden und darauf reagiert. Vielleicht hilft es, sich dessen immer bewußt zu sein. Vielleicht haben wir dann weniger Versagenserlebnisse, wenn wir wissen, daß es fast unmöglich ist. Und weniger Versagenserlebnisse heißt doch auch weniger Aggression, oder? Ich stelle mir vor, wie ich es ganz selten erlebe, daß, wenn es in der Verständigung mal gar nicht klappt, daß dann beide Seiten lachen können. Und sagen: Hoppala...

M.J.: Wer auf Handlungsanleitungen hofft, wird eher enttäuscht.. Dennoch habe ich eine Conclusio zu formulieren versucht.: „Gehe davon aus, daß Verständigung ein seltener Glücksfall ist und Mißverständnisse die Regel sind. Verzichte auf Forderungen. Menschen versuchen ständig, Spielregeln zu definieren. Da es mühsam ist, wenn sich das Leben im Kampf um Spielregeln erschöpft, ist es logisch, daß wir eher den Kontakt mit solchen anderen Menschen bevorzugen, deren Spielregeln mit den unseren einigermaßen übereinstimmen.“  Wie gefallen dir diese Schüsse?
W.M.: Ja, soweit kann ich da mitgehen. Es wäre mir allerdings lieber, wenn da kein Imperativ vorkäme. Ich sage lieber: Meine Hochachtung vor denen, die es immer wieder versuchen. Ich habe sehr viel Respekt vor dem Bemühen der Menschen, ihre Welt in Ordnung zu halten. Das ist nicht so einfach. Aber vielleicht machen die Beispiele ja auch ein wenig neugierig? Vielleicht fällt ja jemandem auf, daß er/sie schon eine Menge solch schwieriger Situationen bestanden hat? Vielleicht wirft der Vortrag ein neues Licht auf schon erlebte Situationen?

M.J.: Wie kommen Menschen überhaupt zu gemeinsamen Spielregeln?
W.M.: Man könnte sich vielleicht vorstellen, daß die/der Stärkere bestimmen kann. Aber selbst die/der muß erst einen Weg finden, sich verständlich zu machen. Da gibt es bei Paul Watzlawick in seinem Buch „Menschliche Kommunikation“ die Geschichte von dem Mann, der mit der Pistole im Anschlag Geld oder Leben fordert. Die Reaktion des Bedrohten, der auf die Uhr schaut und sagt: „Es ist zehn Minuten nach drei!“ macht ihn trotz Pistole sehr hilflos. Spielregeln finden ist immer ein gemeinsames Experiment, und keiner kann vorhersagen, wie es ausgeht. Wer glaubt, die einzig richtigen Spielregeln zu vertreten, ja vertreten zu müssen, der wird wahrscheinlich eine Menge Leute, die da nicht hineinpassen, abschaffen müssen. Man kann nur probieren, geduldig sein, und hoffen, daß die Anderen auch geduldig sind.

M.J.: Die Inderin in deinem Beispiel weiß vermutlich, dass die Welt hier eine andere als die ihre ist. Aber könnte man nicht sagen: Wüßte sie, was „Anders“ im Konkreten jeweils meint, wäre es vermutlich nicht mehr „anders“ für sie, allenfalls eine etwas befremdliche, aber handhabbare Absonderlichkeit. Könnte man das nicht „interkulturelle Kompetenz“ nennen, diese Anverwandlung von etwas, was überhaupt nicht wahrnehmbar ist, weil es ausserhalb des eigenen Denk- und Empfindungsrahmens liegt, in etwas „Gewußtes“?
W.M.: Ich bin mir nicht sicher. Mir kommt vor, es ist schon wieder nicht so einfach. Wenn die Inderin etwas weiß, in welcher „wissenschaftlichen Tradition“ oder in welchem Denksystem weiß sie es dann? Dann weiß sie, daß die Österreicher diese und jene Absonderlichkeiten haben. Und wir wissen, daß die Inder diese und jene Absonderlichkeiten haben. Aber es sind ja gar keine Absonderlichkeiten! Es ist ja das Selbstverständliche, was der andere als Absonderlichkeit bezeichnet. Mir sträuben sich die Haare, wenn ich mir vorstelle, wie meine Mitarbeiter vielleicht darüber reden, wie mit meinen Absonderlichkeiten umzugehen ist! Wenn wir etwas über die Absonderlichkeiten der Anderen wissen, dann haben wir gewiss nicht eine gemeinsame Vorstellung von der Welt! Wenn wir uns alle miteinander wohlfühlen wollen, müssen wir wohl oder übel immer wieder neu Spielregeln entwickeln.

M.J.: Auf der letzen Seite schreibst du: „Ich habe sehr lange gebraucht, bis ich verstanden habe, daß viele Menschen, wenn ich mit ihnen darüber reden wollte, wie wir miteinander umgehen, den Eindruck hatten, ich wolle sie besiegen. Sie hatten leider recht: Ich tat das (und tue es wahrscheinlich immer noch) doch meist dann, wenn ich anders nicht zu dem kam, was ich wollte.“ Ich verstehe das so, dass Metakommunikation auch eine Form ist, jemanden anderen zu besiegen, den eigenen Spielregeln doch noch zur Geltung zu verhelfen. Dann gibst du aber doch eine Optimistischere Aussicht, wenn du meinst: „Ein Gespräch über Kommunikation ist nur dann möglich, wenn beide Seiten sich gerade darauf einlassen wollen, wenn beide Seiten – zumindest vorübergehend – auf ihre Regeln und Möglichkeiten zu verzichten bereit sind, vielleicht um eines späteren Gewinns willen.“ Was ist der Unterschied zwischen diesen beiden „Metakommunikationen“?

W.M.: Der Griff zur Metakommunikation kann ein Angebot sein oder ein Angriff. Meist ist das daran zu erkennen, ob der/die, der/die den Wechsel startet, etwas sagt, das eher ihn/sie in Frage stellt, oder eher den/die anderen. Für mich ist es meist ein Versuch, einen anderen Weg einzuschlagen. Wie etwas ankommt, entscheidet aber das Gegenüber; nämlich, ob es sich jetzt eher gefährdet fühlt oder eher ein Angebot sieht. Und folgert daraus, ob es sich verteidigen soll oder ob es einsteigt und sich auch zur Verfügung stellt. Mit einer alten Freundin, die schon gemeinsam mit mir profitiert hat, kann ich jederzeit auf die Metaebene gehen, wenn ich anders nicht weiterkomme, mit einem Fremden, der sich schützen muß, eher nicht. Wenn ich sage, ich komme anders nicht zu dem, was ich will, dann ist das in meinen Augen nicht deshalb automatisch ein Angriff; es ist ja nicht gesagt, daß sich das gegen den/die Andere(n) richtet. Es könnte ebensogut etwas sein, von dem wir beide profitieren würden. Und wie gesagt: Wie es ankommt, entscheidet dann der/die andere.
Aber da gibt es noch etwas viel Grundsätzlicheres zu sagen: Diese Idee der Metakommunikation – auch der funktionierenden – geht ja auch nur, wenn man dafür eine gemeinsame Sprache und gemeinsame Spielregeln hat bzw. findet. Jemand, der nicht mit unseren Vorstellungen über Metakommunikation konform geht, kann auch nicht einfach darauf eingehen. Zum Beispiel haben sehr viele Menschen gelernt, daß Verhalten nur dann beschrieben wird, wenn es kritisiert wird. Sagen sie mal zu so jemandem: „Sie lächeln jedesmal, wenn ich dieses (oder jenes) Wort sage!“ Die Antwort wird in etwa sein: „Von Dir lasse ich mich nicht kritisieren!“ Was dann? Metakommunikation unterliegt den selben Kultur-Unterschieds-Problemen wie jedes andere Verhalten! Solche Probleme der Kommunikation wiederholen sich auf jeder Kommunikationsebene.

 

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