Texte zu Systemischer Sozialarbeit, Beratung und Supervision von ASYS
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Aus Chaos wird System
von Walter Milowiz
Stellen wir uns vor, wir veranstalten ein Tanzfest. Für Leute, die sich noch nicht kennen. Wir schicken alle Leute auf die Tanzfläche, jeden für sich alleine. Jeder tanzt vor sich hin, alleine. Jeder macht Bewegungen, jeder sieht auch die Bewegungen der Anderen. Wenn zwei sich berühren, spüren sie es. Ein großes, unüberschaubares Chaos, keine Ordnung zu erkennen, außer eventuell einer gewissen Regelmäßigkeit aufgrund des Taktes der Musik.
Welche Entwicklungen sind möglich?
a) Wenn Einer eine Bewegung macht, wird das von den Anderen zwar registriert, aber die Reaktion ist sozusagen „null“, das heißt, für ihn bedeutungslos (Nicht alles, was geschieht, macht einen Unterschied: Ein System funktioniert nach seinen eigenen Regeln und wählt nach diesen aus, was für es relevant ist und was nicht). Daher macht er eine neue Bewegung, die mit denen der anderen keinen Zusammenhang hat. Und so machen es alle: Ein Chaos von Bewegungen, die nichts miteinander zu tun haben, die sich nicht regelmäßig wiederholen, die nicht als etwas Beobachtbares registriert werden können. Dies ist sozusagen der „Normalfall“, das, was am häufigsten geschieht.
b) Wenn Einer eine Bewegung macht, wird es von den Anderen registriert, und einer (oder mehrere) der Anderen reagiert so, daß der Erste sich „angesprochen“ fühlt. So könnte jemand, auf den er sich zubewegt, sich zu ihm drehen. Es ist ein momentaner Bezug entstanden. Er macht daher eine Bewegung, die sich auf die eben erhaltene Reaktion auf seine frühere Bewegung bezieht: Er schaut ihn an und geht wieder zurück. Auf diese Bewegung allerdings bekommt er wieder keine für ihn als auf ihn orientiert erkennbare Reaktion (der Andere dreht sich wieder weg und tanzt weiter) und die kurz entstandene „Beziehung“ löst sich wieder auf, die Tanzflächen-Bewegungs-Struktur bleibt chaotisch.
c) Wenn Einer eine Bewegung macht, wird sie von den Anderen registriert, und einer (oder mehrere) der Anderen reagiert so, daß der Erste sich angesprochen fühlt. Er macht darauf eine Bewegung, die sich auf die eben erhaltene Reaktion auf seine frühere Bewegung bezieht. Auf diese Bewegung bekommt er nun wieder eine Reaktion, auf die er wieder reagiert (Der Andere könnte etwa ihm nachgehen). Und so geht es – für eine gewisse Zeit – weiter, hin und her. Hier zeigt sich, daß Aufmerksamkeit füreinander entstanden ist, zwei Personen reagieren aufeinander in beobachtbarer Dauer. Eine sich wiederholende, sich selbst ständig wiederherstellende Struktur ist entstanden.
Dieser letzte Fall ist – logisch betrachtet – natürlich ein Ausnahmefall gegenüber den vielen „Nichtbegegnungen“, die ja ununterbrochen passieren. Trotzdem erscheint uns dieser Fall als der normale, der dauernd stattfindet. Warum? Weil eine solche, sich selbst am Leben erhaltende Struktur von dem Moment an, in dem sie entsteht, eben Dauer hat, das heißt, sie ist nicht nur eine Millisekunde lang existent, sondern über Tausende oder Milliarden von Millisekunden. Sie reproduziert sich ununterbrochen selbst. Das heißt, sie ist beobachtbar, im Gegensatz zu den „Nichtbegegnungen“, die so kurz sind, daß man sich fragt, was an ihnen man als existent betrachten soll. Es scheint an dieser Stelle angebracht, darauf hinzuweisen, daß wir nichts darüber wissen, wie viele Ereignisse es gibt, die nur von extrem kurzer Dauer sind und keine weiteren Wirkungen auf sonstiges, regelmäßiges Geschehen haben: Sie sind nicht erkennbar! Wir können nur Dinge erkennen, die Dauer haben, die sich also über einen bestimmten Mindestzeitraum wiederholen. Darüber hinaus sind noch zeitliche „Grenzflächen“ erkennbar: Wenn regelmäßiges Geschehen sich ändert.
Für „HelferInnen“ ist natürlich noch die Bewertung relevant:
- Die entstandene Struktur kann eine positiv bewertende sein, wenn sich die beiden sozusagen als unterstützend erleben: Sie tanzen miteinander.
- Negativ ist sie, wenn Einer den Anderen von seiner Art, zu tanzen, abbringen will, jener aber sich nicht abbringen läßt oder gar im Gegenzug den Tanz des einen zu verändern versucht: Sie tanzen gegeneinander. Jeder versucht, den Anderen zu ändern.
Selbstverständlich können auf ähnliche Weise auch sich selbst wiederherstellende Strukturen entstehen, die nicht nur zwei, sondern mehrere Personen umfassen. Für sie gilt dasselbe wie beim vorigen Fall: Zwei Gruppen tanzen miteinander oder gegeneinander.
Und da solche Strukturen sich über längere Zeit erhalten, so ist es wahrscheinlich, daß gleichzeitig mehrere oder gar viele davon existieren: Dann sieht die Sache aus wie eine ganz normale Tanzfläche, auf der viele Paare, vielleicht einige Gruppen und einige einzelne vor sich hin tanzen.
Dem menschlichen Beobachter erscheinen solche Interaktionsstrukturen, wie sie in unserer Beschreibung entstanden sind, als eigenständige Elemente, und die Systemiker haben dafür den Begriff „System“ eingeführt. Alle systemische Literatur bezieht sich auf solche Strukturen, die als von der Umwelt relativ unabhängig betrachtet werden.
(Milowiz, Walter (2009): Teufelskreis und Lebensweg. Systemisch denken im sozialen Feld. Göttingen)
Auswertung von 5 ExpertInneninterviews zum Thema „Integration“
von Bernhard Ettenauer, Walter Milowiz, Christian Reininger und Hannes Ruttinger
Den Artikel „Auswertung von 5 ExpertInneninterviews zum Thema „Integration““ können Sie hier downloaden (PDF, 13 Seiten).
Brillen und andere Wirklichkeiten
von Bernhard Lehr
Gucki: Ach wenn ich das alles noch genau wüsste, was ich schon gehört habe über das Entstehen von Wirklichkeiten, dann hätte ich wenigstens die Gewissheit ein wenig näher der Wirklichkeit zu sein. Aber so weiß ich vieles nicht, vieles nicht mehr, oder ich weiß auch nicht, was ich eigentlich weiß.
Bryn: Na sind wir heute depressiv?
Gucki: Es ärgert mich eben, dass ich mir schwer tu zu erzählen, wie das mit den Brillen und den Wirklichkeiten ist.
Glasl: Griaß euch! Was höre ich? Ärger? Depression? in so einem Fall, wenn ich glaube, ich kann gar nichts mehr, frustriert bin bis ins Knochenmark, lege ich seit Neuestem die „Als ob Strategie“ an: Ich tu so als sei es anders, ich tu so als sei ich nicht depressiv, nicht verärgert, nicht dumm und fang mit irgendwas an.
Bryn: Na dann: Tun wir so als ob wir alles wüssten.
Gucki: Ich glaub es geht nicht um alles wissen. Es gefällt mir ganz gut, einfach anzufangen. Weißt du, was mir gestern passiert ist?
Glasl: Du bist gut, wie soll ich das wissen? Ein typisches Beispiel, dass man nicht alles wissen kann! Aber du wirst es mir bald sagen, nehme ich an.
Gucki: Ich habe gestern ein Vexierbild betrachtet, es wurde im Fernsehen gezeigt, weiß nicht mehr bei welcher Sendung, es sollte eine junge und eine alte Frau zu sehen sein. Stell dir vor, ich habe das Bild von Früher gekannt, du weißt, es gibt so Vexierbilder, die sind in vielen Journalen und so zu sehen, ein so bekanntes ist jenes. Ich konnte die junge Frau nicht mehr erkennen. Ich sah die alte und die alte und nur die alte, obwohl ich wüsste, wie die junge auszusehen hätte, ich hab sie nicht gefunden! Und gleichzeitig schreit mein Sohn durch die Gegend: „Ich sehe nur die junge Frau! Wo ist die alte?“ Ich hab meine junge jedenfalls nicht mehr erblickt.
Eigentlich hätte ich damit gerechnet, dass ich sie erkennen müsste, weil ich ja eine Vorstellung habe, wie und wo ungefähr ich sie finden könnte. Denn man sagt ja, dass wir eher nur das sehen und erkennen, was wir eben kennen. Aber hier war ich sehr fixiert auf die Alte.
Bryn: Vielleicht sollten wir das Vexierbild auf Fixierbild umbenennen.
Gucki (lacht): Ja vielleicht. (wird wieder ernst) Es ist doch immer wieder verblüffend, für mich jedenfalls, wie fixiert wir Menschen sein können. Nicht nur beim Sehen, auch so beim Wahrnehmen und Denken.
Weil du vorhin das Wort „depressiv“ erwähnt hast. Wie verstärkend so ein Begriff doch wirken kann. Wenn ich ihn ernst nehmen würde, ginge es mir schon ganz schlecht. Ich konnte einmal einem Klienten helfen, indem wir für seine Krankheit Depression einen anderen Namen, eigentlich viele andere Namen fanden, ich müsste sagen er-fanden: er habe sich vergiftet, weil er sich so viel „gegiftet“, ein anderes Wort für geärgert, hat, er habe sich überfordert und wolle etwas Neues, er sei erschöpft und brauche eine Pause, usw.
Glasl: Jaja, wie nennt schon Herr De Shazer ein Buch? „Worte waren ursprünglich Zauber“, die Sprache kann uns sehr binden und unsere Gedanken beeinflussen, bzw. auch unser Tun natürlich.
Wisst ihr, was mir so durch den Kopf geistert?
Bryn: Natürlich nicht, wie sollten wir auch, aber um in deinen Worten zu sprechen: Du wirst es uns bald mitteilen,
Glasl (lacht): Richtig. Hab gehofft, dass dieser Satz kommt. Und ich sag es dir auch:
Im Ludwig Boltzmann Institut in Frankfurt gibt es einen Herrn Professor, dessen Name mir jetzt nicht einfällt, der sich mit Gehirnforschung beschäftigt. In einigen Zeitungen war auch davon zu lesen, unter anderem im Bild der Wissenschaft vor zirka einem halben Jahr. Der behauptet aufgrund seiner Forschungen, dass unser Bewusstsein über eine Handlung null Komma drei Sekunden nach dem jeweiligen Ablauf der einzelnen Bewegungen der Nerven und Muskeln zustande kommt.
Bryn: Waaaas? Nachdem ich jetzt so spontan „waaaas“ plärrte, hätte ich nicht gewusst, dass ich „waaaas“ plärre?
Gucki: Dieses „waaaaas“ kannst du eh nicht überlegt haben, das war unbewusst, würde ich behaupten.
Aber was dieser Professor dann sagt, hieße, dass eigentlich alle Handlungen und auch Gedanken, nehme ich an, gewissermaßen „spontan“ wären, in dem Sinne, dass sie nicht, zumindest nicht bis zuletzt und ins Detail, planbar sind, sondern nur nachvollziehbar. Ja bestenfalls nachvollziehbar.
Glasl: Ja. Ich tue etwas und kann bestenfalls ein Resultat bemerken. Natürlich bemerke ich dann auch nur, was für mich passt – im Sinne deines „Fixierbildes“ und mach wieder weiter….
Bryn: Wie bei einer Maschine, gell?
Glasl: Naja, das Wort nimmt man nicht so gern in den Mund, wenn es um uns Menschen geht. Und ich glaube auch, dass es vielfältiger, komplexer ist. Die Systemiker reden gern von den „autopoietischen Systemen“, Einheiten quasi, die sich selbst reduplizieren und aufrechterhalten. Eine Maschine ist da zu einfach – trivial sagen manche.
Gucki: Wie verändere ich mich dann laut diesem Professor, wenn ich nur reagiere und reagiere und bestenfalls feststelle, dass ich so und vielleicht so reagiere?
Glasl: Naja, ich würde das so sagen, um auf dein Vexierbild zurückzukommen, wir haben doch sehr, sehr viele Muster in unserem Repertoire und das, was wir wahrnehmen ist nicht nur eine junge und alte Frau, sodass aufgrund der Vielheit an Bewegung und Bildern Verschiedenstes bewusst werden kann, das dann weiterwirkt. Und wir stehen permanent in Wechselwirkung mit unsrer Umwelt, mit anderen Systemen, die uns auch zusetzen oder anregen oder wie immer wir das nennen mögen. Manche sagen stören, manche sogar penetrieren, was schon überklinisch klingt. Das Wort „jucken“ fände ich witzig.
Gucki: Sei still, sonst fängt es mich zu jucken an! Dazu genügt mir das Wort alleine!
(kurze Pause)
So wie wir jetzt dahinreden. Jeder hat seine Gedanken. Die entwickeln sich: Ich sage das, du dies und daher er jenes und ich wieder fast das, was ich ursprünglich sagen wollte, aber vielleicht doch nicht ganz so, sondern in einer anderen Art.
Bryn: Jetzt brauchen wir nur mehr sagen: So ist das Leben. Und gehen heim.
Aber wie war das wieder mit den „Brillen“? Deshalb wollten wir uns doch treffen und reden.
Es gibt die Meinung, wir Menschen würden alles durch gewisse Brillen sehen.
Glasl: Für mich sind die Brillen nur mehr ein Hilfsausdruck
Gucki: Gibt es denn etwas anderes auch als Hilfsausdrücke?
Glasl: Sehr witzig!
Also gut: Es handelt sich wohl um eine andere Form der Erklärung dafür, dass manche Menschen in einer Verhaltensweise oder Szene oder auch nur in einem Bild nur ganz Bestimmtes wahrnehmen und nicht anderes, das andere Menschen wahrnehmen würden. Gleichsam als würden sie eine Brille einer besonderen Art oder gewisser Farbe tragen.
Gucki: Wow! Das hast du aber schön formuliert.
Bryn: Es gibt ja auch Menschen, die haben sogar so starke Brillen, dass nicht nur Systemiker vom „Brett vor dem Kopf“ sprechen.
Was nehmen die eigentlich wahr?
Gucki: Die haben auf der ihnen zugewandten Seite des Brettes einen Film laufen, der gerade aus ihrem Hirn heraus projeziert wird, Heimkino quisiquasi. So einer haut dir eine runter, dass dir Hören und Sehen vergeht und behauptet, er hätte dich geliebt.
Glasl: Drastisch aber möglich.
Gucki: Was? Das Lieben oder das Vergehen von Hören und Sehen?
(winkt mit der Hand vor dem Gesicht)
Das ist mir nur so in der Schnelle eingefallen.
Glasl: Ich denke, die Erfahrung zu machen, dass es verschiedene Brillen gibt, die wir nutzen, ist äußerst wichtig. Aber wem sag ich das.
Es ist ja immer so leicht, auf die Brillen der anderen zu verweisen. So als wäre ich selbst kein Brillenträger, hätte so was nicht nötig, und wenn schon nach dieser Brillentheorie alle diese Dinger tragen, so würde ich die mit Fensterglas tragen.
Was ich sagen will: Jeder Vergleich hinkt. Das Bild von den Brillen könnte vermitteln, dass es die reine Sicht oder wenigstens eine genaue Datenübertragung und Wiedererkennung im Gehirn gäbe. Dem ist eben anders.
Unser Professor Boltzmann, oder wie er auch heißt, vermittelt uns eher, dass wir bei der „Wirklichkeit“ mehr auf das Wirken achten sollen. Also ich wirke und werde gewirkt, manches wird bewusst und wirkt weiter, vieles merken wir nicht und wirkt genauso.
Bryn: Der Gedanke von der Sicherheit über gewisses Wissen, dass selbst dieser Gedanke fallen zu lassen ist, lässt mich nicht aus, juckt mich quasi.
Ich habe vor Kurzem in einem Buch über Zeitreisen gelesen, dass Einstein eine Formel entwickelt hat, die wohl über seine e ist m mal c quadrat hinaus geht. Die Formel kann ich nicht nennen, sie ist eine halbe Zeile lang mit vielen kleinen Buchstaben an den normal geschriebenen Buchstaben, in der Mitte ein Ist-gleich – Zeichen. Einstein wollte beweisen, dass es sich, wenn ein Gegenstand zu Boden fällt, nicht so verhält, dass der Gegenstand hinunterfällt, sondern dass das Untere dem Gegenstand entgegenkommt. Die Gravitation ist also nicht eine Kraft, die hinabzieht, sondern eine Bewegung, die entgegen kommt. Er hat acht Jahre gebraucht, um diese Idee, die alles auf den Kopf stellt, zu beweisen. Er hat die Formel gefunden. Und er konnte auch zwei Anomalien, Bahnabweichungen beim Merkur und noch eine, dadurch erklären. Der Autor erzählt, dass Einstein, als ihm die Sache gelungen war und der Beweis durch den Merkur sicher war, dass er Herzklopfen vor Freude gehabt habe. Das Ganze hängt irgendwie mit der Raumzeitkrümmung zusammen.
Gucki: Da krieg ich auch gleich Herzklopfen!
Bryn: Ja ich auch immer wieder. Und was mir dabei so gefällt, ist, dass selbst die Tatsache, dass etwas zu Boden fällt, ein Blick durch eine Brille ist.
Glasl: Wenn ich mir vorstelle, dass ich Einsteins Brille aufsetze, verdreht es mir nur bei dem Gedanken die Augenäpfel dreimal je Auge in und gegen den Uhrzeigersinn.
Aber gerade auch solche Sachen ermuntern mich, im Alltag oder Beruf ein wenig ver-rückter zu denken.
Gucki: Mir kommt eben das Bild, dass wir wie Blinde sind, die rundherum ein wenig die Gegend begreifen. Schön, wenn wir uns von den Ein-drücken ein wenig erzählen können, oder wir uns darunter etwas vorstellen können. Wenn ich mir vorstelle, dass ein Blinder einem Blinden von seinen Eindrücken erzählt, davon, was er begriffen hat. Der andere hat nur die Möglichkeit davon zu hören und sich ein Bild – wie kann ein Blinder sich ein Bild machen? – er macht sich eine Vorstellung von dessen Begriffenem. Vage, es bleibt so vieles vage.
Und nur weil wir sehen, glauben wir, wir könnten so leicht begreifen!
Bryn: Das sind ja wunderbare Wortspiele.
Aber eines scheint mir sehr wichtig: Dem Blinden nützt alleine wahrzunehmen wenig. Er muss sich äußern und er ist auf die Äußerung eines anderen angewiesen.
Gucki: Und wenn dann noch eine andere dazukommt (nicht nur wegen des Geschlechterverhältnisses) …
Glasl: Und wenn sie nicht gestorben sind…
Gucki: Nein ich meine im Ernst, dass zur Reflexion oder Bewusstwerden von Verhalten oder überhaupt einfach zum Erkennen von dem was gerade rundherum sein könnte, drei mehr bringen als zwei, so wie ein Punkt im Raum auch drei Koordinaten braucht um seine Position zu vermitteln
Bryn: Und wieviel braucht es bei der Raumzeit?
Glasl: Ich glaub, ich brauch einen Frankfurter mit einem Kremser und dazu ein Zwettler
Gucki: Und ich möchte ein Brillenstudio errichten. Ich verleihe dann: Sicherheitsberaterbrillen, Flüchtlingsbrillen, Papstbrillen, Hausfrauenbrillen, Kinderbrillen der verschiedensten Art, Verliererbrillen, Chemikerbrillen, …
Glasl: Mit einer Hinduistenbrille siehst du sofort alles eingerahmt, wie ein alter Film. So stell ich mir das wenigstens vor, denn die sagen: Alles Maya, alles ist Schein
Bryn: Ein Blick durch die Brillen der Brillenschlange muss aufregend sein!
(aus: Lehr, Bernhard: dramulettes systemiques, unveröffentlichte Manuskripte. In: www.lehr-bernhard.com)
Das „relevante Verhaltensrepertoire“
von Walter Milowiz
Den Artikel „Das „relevante Verhaltensrepertoire““ können Sie hier downloaden (PDF, 11 Seiten).
Das Fremde ist immer und überall
von Walter Milowiz
Diesen Artikel können Sie hier downloaden.
Das Prinzip Rückkopplung
von Walter Milowiz
Den Artikel „Das Prinzip Rückkopplung. Vergessene Wurzel systemischen Denkens?“ können Sie hier downloaden (PDF, 11 Seiten).
Der Teufelskreis in der Supervision. Rückkoppelung als Diagnoseinstrument
von Michaela Judy und Walter Milowiz
Den Artikel „Der Teufelskreis in der Supervision. Rückkopplung als Diagnoseinstrument“ können Sie hier downloaden (PDF, 13 Seiten).
Die Grundprinzipien systemischen Denkens
von Walter Milowiz
Walter Milowiz und ASYS haben mit der Wiener Schule eine systemische Theorie für die Soziale Arbeit entwickelt mit fünf Grundprinzipien des systemischen Denkens und Handelns:
- Vernetzung
Jedes Geschehen hängt mit allem zusammen, was rundherum geschieht. Ein Element alleine zu untersuchen, gibt verfälschte Ergebnisse. - Konstruktivistisches Paradigma
Jede unterschiedliche Beschreibung erzeugt eine eigene Wirklichkeit. - Selbsterhaltung
Zustände bzw. Phänomene, die über längere Zeit existieren, haben einen Mechanismus, sich selbst aufrecht zu erhalten. - Zirkularität
Das Ende einer Kausalkette ist selbst wieder Ursache für den nächsten Anfang. - Einbeziehung des Beobachters/der Beobachterin
Die Trennung des Beobachters/der Beobachterin vom Beobachteten ist eine Fiktion: Wir müssen immer unsere eigenen Wirkungen mit bedenken.
Durch kreatives Intervenieren zum Sis Kebab
von Renate Fischer
Mittagspause in einem türkischen Lokal. Walter und ich bestellen „Sis Kebab“, Lammspieß. Die junge Kellnerin nickt. „Aber bitte einmal mit Pommes frites anstatt mit Reis.“ Seltsamer Weise scheint das die Kellnerin zu verwirren. „Einmal Pommes frites?“ Sie klingt zögerlich. „Ja!“, nicken wir bekräftigend, „und die andere Portion mit Reis, bitte.“ Jetzt wirkt sie wieder erleichtert und fasst mit fester Stimme zusammen: „Einmal Pommes frites, einmal Reis!“ „Ja. Und dazu, wie gesagt: Lammspieß!“ „Lammspieß???“ Ratlosigkeit macht sich in ihrem Gesicht breit. Und ich frage mich insgeheim, seit wann es so schwierig ist, in diesem türkischen Lokal Lammspieß mit Pommes bzw. Reis zu bestellen. Zugegeben, ich war schon länger nicht mehr hier. Aber im letzten Jahr hatten ähnliche Bestellungen noch reibungslos geklappt. Bevor ich jedoch weiter über die Ursachen dieses eigenartigen Verhaltens der Kellnerin grübeln kann, hat sie sich wieder gefasst und nimmt die Getränkebestellung auf.
„Zu trinken?“
„Zweimal Obi gespritzt bitte!“
Aufmerksame Leser können anhand dieser Bestellung bereits erkennen: Walter und ich schwingen heute auf der gleichen Wellenlänge: zweimal Obi gespritzt, zweimal Lammspieß. Wenn das kein gutes Zeichen ist. Es ist der zweite Tag des Seminars „kreatives Intervenieren“ und wir sind – erstmals – gemeinsam als Trainer und Co-Trainerin tätig. Einigkeit ist da eindeutig von Vorteil. Und tatsächlich klappte heute Vormittag auch alles ganz wunderbar. Wir sind äußerst zufrieden mit uns. Liegt das Geheimnis unseres guten Zusammenspiels vielleicht gar in der gemeinsamen Vorliebe für Sis Kebab und Obi gespritzt? Apropos Obi – auch mit dieser Bestellung scheint es Probleme zu geben.
„Obüy wie??!!!“, fragt die Kellnerin nun nämlich ganz verzweifelt. Unser wunderbares Zusammenspiel scheint sie nicht zu beeindrucken. Was hat sie denn bloß, die gute Frau?
„A-P-F-E-L-S-A-F-T gespritzt!“ beteuern wir nochmals, geduldig und langsam und deutlich sprechend.
Die Kellnerin, verwirrt aber aufmerksam, hört zu, hält Stift und Bestellblock unschlüssig in der Hand, überlegt dann kurz, nickt unsicher und geht ab in Richtung Küche.
Hm. Seltsam. Wir sind uns nicht sicher, ob wir auch wirklich erhalten werden, was wir bestellt haben. Vor meinem geistigen Auge sehe ich uns sitzen vor einer großen Portion Reis und einer großen Portion Pommes. Ohne Lammspieß. Was aus dem Apfelsaft gespritzt werden wird, steht ebenfalls in den Sternen.
Diese eigenartige Sequenz erinnert mich allerdings sehr an unser Lehrgangsthema (Kreatives Intervenieren), ja sie erscheint mir sogar eine hervorragende Ergänzung unseres bisherigen Seminarprogrammes zu sein.
„Kreatives Intervenieren liegt immer jenseits des Vorhersehbaren, des Erwarteten!“, haben wir den KursteilnehmerInnen eben noch vermittelt. Et voila: hier haben wir unseren Satz in praktischer Umsetzung gleich mal selbst serviert bekommen, bzw. werden ihn wohl alsbald serviert bekommen: in Form von Reis und Pommes ohne Irgendwas. Ganz unerwartet und unvorhersehbar! Ja, wer rechnet denn damit, dass eine Kellnerin die auf der hauseigenen Speiskarte angebotenen Speisen nicht kennt bzw. mit Verstörung reagiert, wenn man dieselben bestellt? So gesehen war die ungewollte kreative Intervention der Kellnerin ein bravouröses Musterbeispiel. Damit fällt sie doch ganz eindeutig aus dem Rahmen des Gewohnten. Sorgt – so wie wir bei ihr – für Verunsicherung.
„Verunsicherung, Unbehagen, Nervosität … alles Anzeichen dafür, dass man die Sicherheit des Alltäglichen hinter sich gelassen hat und einen Rahmen dafür schafft, Neues, Kreatives auszuprobieren.“ Ja, genau, das haben wir behauptet, das war unser Slogan. Nicht, dass ich in diesem Augenblick unbedingt so versessen darauf wäre, eben dies auch in die Tat umzusetzen. Ich habe absolut keine Lust, hier etwas Neues, Kreatives auszuprobieren. Meine Nervosität und mein Unbehagen steigen mit dem Knurren des Magens. Mit hungrigem Bauch ist das Kreativ sein gar nicht so lustig, finde ich, und blicke ungeduldig in Richtung Küche.
Offenbar ist es eben nicht so, wie ich das manchmal gerne hätte: Dass Situationen mit kreativem Potential zu jedem Zeitpunkt ungemein viel Spaß machen. Manchmal entsteht der kreative Ansatz rein aus der Not heraus und nicht aus Lust am Neu-Erfinden. Auch die Lehrgangsteilnehmer hatten ja bis jetzt nicht durchgehend nur die pure Freude mit unseren dargebotenen Übungen. Ein „Etwas“ zu basteln war noch eine der einfachsten Übungen, aber das selbige Etwas dann den anderen TeilnehmerInnen nonverbal vermitteln zu müssen, erschien manchen schon deutlich schwerer. Der Sprache beraubt scheinen Missverständnisse vorprogrammiert. „Bin schon neugierig, was du wirklich damit gemeint hast“ sagte da ein Teilnehmer zum anderen. Solche Behauptungen rufen allerdings unweigerlich Walter aufs Programm: „Das können Sie nicht wissen! Nicht einmal, wenn es Ihnen mitgeteilt würde!“, meinte er und stellte damit eine Behauptung in den Raum, die Murren und Widerspruch hervorrief. Denn man sollte doch meinen, dass sich mit der Sprache vieles an Missverständnissen aus den Weg räumen lässt, oder? Wenn mir mein Gegenüber endlich erklärt, was dieses von ihm gebastelte Gebilde für ihn darstellt – mit Worten erklärt, wohlgemerkt – dann kenne ich mich doch aus. Nur: womit kenne ich mich dann aus? Mit dem, was dieses Ding für ihn bedeutet? Oder schlicht und einfach damit, was seine Erklärung in mir auslöst? Weiß ich dann, was der Betreffende in seinem Etwas sieht oder kenne ich lediglich meine Assoziationen dazu? Eine strittige Angelegenheit im Lehrgang. Und auch nichts Neues im Alltagsleben.
Da sitze ich manchmal scheinbar stundenlang meinem Klienten gegenüber und erkläre und erkläre. Ich rede mir schier den Mund fusselig mit doch so einfachen Erklärungen, wie: „Wenn Sie mir diese und jene Unterlagen bringen, dann werde ich Ihnen helfen, diesen und jenen Antrag zu stellen!“ oder „Wenn Sie in diesem Monat ein Einkommen über 800,- Euro haben, dann besteht leider kein Anspruch auf Sozialhilfe!“ oder „Wenn Sie keine Teilbeträge bei Wien Energie einzahlen, dann müssen Sie damit rechnen, dass Gas und Strom abgesperrt wird!“.
Klare Sätze. Durch und durch logisch. Für mich. Und doch kommt es vor, dass bei meinem Gegenüber daraufhin mehr Verwirrung als Erleuchtung ins Gesicht geschrieben steht. Beim einen Ohr hinein, beim anderen Ohr hinaus, denke ich dann an stressigen Tagen entnervt und bemühe mich redlich, mit „mehr desselben“ das Chaos einzudämmen. Was – wie mir im Zustand geistiger Entspanntheit völlig klar wäre – nur in den seltensten Fällen funktioniert. In den meisten Situationen reitet man sich ja mit „mehr desselben“ nur noch mehr in das Missverstehen hinein. (Sie können das gerne in Paul Watzlawicks Buch „Anleitung zum Unglücklichsein“ nochmals in aller Ruhe nachschlagen) Bei zunehmender Gereiztheit, bei zunehmendem Hunger oder sonstigem Unbill, das erleben wir doch (hoffentlich) alle mal, verblasst die Theorie gerne, die Abgeklärtheit sagt zum Abschied noch leise Servus und lässt einem mit seinen gereizten Emotionen im Trockenen sitzen. Toll. Ganz großartig. Super gemacht. So toll das Feld auch aufbereitet wäre für geniale oder weniger geniale kreative Interventionen – Verunsicherung, Verwirrung, Unbehagen… alles da, und trotzdem schnappt gerade auf diesem zum kreativen Säen bereiten Feld oft die Falle zu. Die hundertste Erklärung, Vorurteile, die sich gleich selbsterfüllend bestätigen, die eigene Brille, die wie angewachsen scheint, so als könnte ich mit jeder anderen keinen Zentimeter weit sehen… .
Da sitze ich nun und frage mich:
Warum um Himmels Willen will denn dieser Klient nicht und nicht verstehen? Oder:
Warum kapieren die Trainer nicht, dass eine Erklärung mit Worten doch um einiges punktgenauer wäre als diese nonverbalen Deutungen?
Und warum hat die Kellnerin mit so simplen Bestellungen ihre Schwierigkeiten?
Warum, warum, warum .. und schwupp die wupp, trotz all der Schulbildung, trotz der sozialen Grundhaltung, die die Akademien und Fachhochschulen uns mehr oder weniger mitgegeben haben, trotz Helfersyndrom und dem Anspruch alles verstehen und erklären zu wollen, regrediere ich in das Trotzalter und stampfe innerlich auf wie das Rumpelstilzchen.
Vielleicht passiert das ja nur mir: Situationen, in denen es nervt, daß nicht der übliche, gewohnte, einfache Weg sang und klanglos zum erwünschten Erfolg führt. Situationen, die möglicherweise wie geschaffen wären für all die tollen Methoden der systemischen Interventionskiste, nur daß diese Situationen jetzt grad eben völlig ungelegen kommen. Jetzt gerade soll bitte alles einfach und reibungslos so funktionieren wie immer. Keine Zeit für Scherze. Keine Lust auf Neues. Die Ohren sind auf taub gestellt, zudem befindet sich die systemische Wunderkiste im Augenblick völlig außer Sicht und der Schlüssel dazu ist auch irgendwo verlegt.
Was also ist zu tun? Was tun, wenn man in der Sackgasse feststeckt, wenn man sich im Kreise dreht, wenn man – mitunter auch noch unter Druck – eine geniale Idee haben sollte, aber keine findet.
Die Kellnerin versteht nicht, was ich bestelle. Warum auch immer. Ob ich will oder nicht, ich werde aus meinem gewohnten Aktionsmuster gerissen. Im Prinzip habe ich nun die Wahl: mich ärgern, mich beschweren, neugierig auf das Essen warten, in die Küche gehen und mir den Lammspieß selbst auf den Grill schmeißen…
Und auch die Lehrgangsteilnehmer haben die Wahl. Da wird das eben nonverbal dargestellte vom Gegenüber möglicherweise völlig verkannt. Was tun? Sich weiter an die nonverbale Regel halten? Still vor sich hinwimmern oder lieber wild gestikulieren? Schicksalsergeben abwarten? Sich auf neue Interpretationen freuen und überlegen, wie die ins eigene Leben passen könnten?
Und meine Klientengespräche? Ich kann nach einer Stunde fruchtloser Intervention völlig entnervt zu meinen Kolleginnen gehen und mich ausweinen. Ich kann nebenbei gleich mal mein Kündigungsschreiben aufsetzen. Ich kann meine verbalen Erklärungen stoppen und zu zeichnen beginnen. Mich im darstellenden Spiel üben. Oder Überlegungen anstellen, unter welchen Bedingungen ICH wohl so reagieren würde, wie der, der mir gegenüber sitzt.
Eigentlich gibt’s da trotz der sprichwörtlichen Sackgasse ganz schön viele Wahlmöglichkeiten. Vorausgesetzt, ich habe meinen Unmut erkannt, zur Kenntnis genommen, und mich fürs erste mal damit ausgesöhnt, dass der gewohnte Weg gerade nicht fruchtet.
Vielleicht ist es ja ganz hilfreich, solche Situationen hinkünftig neu zu interpretieren, seine Sensoren in Richtung Verunsicherung, Unbehagen und Nervosität auszurichten und diese nicht mehr nur als Vorboten von miesem Karma zu sehen, sondern doch auch als Anzeichen für kommende kreative Schaffensprozesse. Eine systemische Umdeutung in ganz eigener Sache also. Das Gute im Schlechten erkennen. Die Herausforderung zur Chance – knurrend aber doch – zur Kenntnis nehmen und akzeptieren.
Und weil das manchmal leichter gesagt als getan ist, gibt’s im systemischen Lehrgang von ASYS etliche Übungen, in denen genau das eingeübt wird: das Aushalten von möglichen Missverständnissen, von Ratlosigkeit und Unsicherheit, das bewusste Hineingehen in schwierige Situationen, das Üben des Perspektivenwechsels und die Möglichkeit, die Situation versuchsweise mal noch irrer zu machen. Möglichkeiten, ganz ungestraft mal Neues auszuprobieren und sich so Anregungen für den Alltag und die eigene Berufspraxis zu holen.
Und – nebenbei bemerkt und gleich als Werbung in eigener Sache – wer noch keine Möglichkeit hat, am nächsten Lehrgang teilzunehmen, bzw. wer bereits teilgenommen hat und/oder sich ganz einfach in dieses Thema vertiefen möchte – der ist hiermit herzlich eingeladen, sich bei Christian Reininger oder mir an für ein knapp-daneben-SemiNarr anzumelden (knapp.daneben@gmx.at), das sich, wie Eingeweihte ja bereits wissen, auch genau mit dieser Thematik beschäftigt.
So, und nach dieser Werbeeinschaltung nun noch für alle neugierigen Freunde der türkischen Küche eine Antwort auf die Frage, wie es mit der Bestellung von Walter und mir weitergegangen ist.
Da ist die von uns offenbar so verstörte Kellnerin ja eben in der Küche verschwunden und hat uns in unserer Hungrigkeit und Ungewissheit sitzen gelassen.
Und schon erscheint sie wieder, gefolgt von einem weiteren Angestellten des Hauses. Der junger Türke neben ihr macht freundlich an unserem Tisch halt: „Verzeihung. Unsere Kellnerin ist heute den ersten Tag hier und hat nicht ganz verstanden, was Sie bestellen wollten. Wären Sie bitte so freundlich, Ihre Bestellung noch einmal zu wiederholen?“
Aber natürlich sind wir so freundlich. Erleichtert schiebe ich gedanklich den imaginären Teller voll Reis von mir und habe stattdessen wieder die gesamte Bestellung in all ihrer Reichhaltigkeit vor Augen: Fleisch UND Reis UND Getränk!
Auch Walter scheint erfreut und noch ehe ich etwas sagen kann, nützt er auch schon die sich bietende Gelegenheit, um – sicher ist sicher – unsere Bestellung diesmal gleich auf türkisch vorzunehmen. Er sucht nach den richtigen Worten und ich bin verblüfft. Seit wann spricht er denn türkisch? Für mich dreht sich die Szene nun um. Nun bin ich an der Reihe, verwirrt zu schauen. Was bestellt er denn da? Ich verstehe kein Wort. Der Kellner-Trainer und die Co-Kellnerin lauschen aufmerksam und konzentriert. Aber beruhigender Weise nicken sie im Gegensatz zu mir ab und zu. Und gehen dann sicheren Schrittes von der Bühne ab. Walter ist zufrieden. Und ich bin letztendlich nicht viel gescheiter als zuvor und hoffe, dass Walters Türkisch-Kenntnisse ausreichen, um in Bälde irgendetwas Essbares auf unseren Tisch zu zaubern. Der Kellner und die Kellnerin scheinen ihn jedenfalls verstanden zu haben. Was auch immer er bestellt hat, es muss in der Küche vorrätig sein, denn von dort dringt jetzt ganz eindeutig der Geruch gebratenen Lammfleisches an meine Nase. Und das stimmt doch schon wieder sehr zuversichtlich und lässt darauf schließen, dass die gute Zusammenarbeit von Trainer und Co-Trainerin auch für die restlichen Tage nicht gefährdet ist.
(Fischer, Renate (2009): Durch kreatives Intervenieren zum Sis Kebab. In: BASYS Lfd. Nr. 26, Heft 1/2009)
Ein systemisches Modell für die Betrachtung und Behandlung von Randgruppen- und Aussenseiterentwicklungen
von Walter Milowiz
Den Vortrag „Ein systemisches Modell für die Betrachtung und Behandlung von Randgruppen- und Außenseiterentwicklungen“ finden Sie hier.
Maturana und die Erfindung der Erfinder durch ihre Erfindung. Ein Briefwechsel
von Humberto Maturana und Walter Milowiz
Lieber Herr Maturana, Wien, 29.4.1999
ich bin Generalsekretär des „Arbeitskreises für Systemische Sozialarbeit, Beratung und Supervision“, und in unseren Literatur-Treffen haben wir jetzt den dritten „Maturana“ gelesen und diskutiert, und sind noch immer sehr beeindruckt von Ihrer Kreativität und Ihrer klaren und weitsichtigen Betrachtungsweise. Aber es bleibt eine unbeantwortete Frage, und wir haben beschlossen, Sie um Ihre Ideen dazu zu fragen:
Wie schließen Sie – oder wie können wir schließen – die Schleife: Wenn „erkennen“ bedeutet, daß ein biologisches System die Welt strukturiert und erfindet, wie hat dieses biologische System die Biologie und biologische Systeme erfunden?
Ich finde keine bessere Erklärung des Problems, und ich hoffe, Sie verstehen, was ich meine. Wir wären sehr dankbar, wenn Sie uns ein bißchen Hilfe für’s Weiterdenken geben könnten!
Hochachtungsvoll,
W. Milowiz
P.S.: Gerade jetzt habe ich eine Idee: Vielleicht ist es gerade umgekehrt, und Sie haben die Schleife geschlossen, indem Sie den Wissenschaftlern erklären, daß diese eine Wissenschaft erfunden haben, die beinhaltet, daß sie existieren; was letztlich bedeutet, daß sie sich selbst „richtig“ erfunden haben? Oh, ja! Das würde die Schleife schließen! Keine Fragen mehr, was denn außerhalb der Schleife sei!
Lieber Prof. Milowiz,
Als Erstes danke für Ihren Brief, ich freue mich, daß Sie an meiner Arbeit interessiert sind und Fragen an mich stellen. Lassen Sie mich die beantworten, die Sie gerade stellen.
Ich denke, Ihre P.S. – Reflektion ist korrekt. Kognitive Systeme sind geschlossen, weil sie aus der Systemdynamik entstehen, in der ein lebendes System und das Medium (oder besser die Nische), in der es existiert, sich miteinander kongruent verändern durch die Erhaltung des Lebens des lebenden Systems im Fluß ihrer ständig entstehenden gemeinsamen strukturellen Koppelung. Ein lebendes System operiert in seinem Bereich struktureller Koppelung als konstitutiver Faktor seiner Existenz. Das ist es, was ich meine, wenn ich sage, zu leben heißt zu wissen. Aber dasselbe ist der Fall für uns Menschen, die wir in Sprache operieren, da wir als „sprachende“[2] Wesen existieren bei der Realisierung unseres Lebens. Das heißt, indem wir menschlichen Wesen erklärende Konversationen generieren wie etwa wissenschaftliche Erklärungen, erzeugen wir sowohl Wissenschaft als auch die Wissenschaftler als ein geschlossenens Netzwerk von Konversationen, das erwächst aus der Verwirklichung der menschlichen Art zu leben, die den speziellen kognitiven Bereich konstituiert, in dem wir als menschliche Wesen existieren.[3]
Wie Sie sicherlich bemerkt haben, ist meine Art zu sprechen kein Manierismus, sondern sie ist notwendig, um sich auf Phänomene oder Prozesse oder Dinge zu beziehen, die nicht existieren vor ihrer Konstituierung durch die Operationen, durch die sie hervorgebracht werden. Der Ausdruck, den Sie gebrauchen, wenn Sie sagen, „ein biologisches System erfinde die Welt“, hat mit dieser Schwierigkeit zu tun: Die Welt, die ein lebendes System lebt entsteht, indem es lebt, und existiert nicht vor diesem. Dies ist zugleich der Grund dafür, daß Wissenschaft in dem geschlossenen Bereich der Lebenskohärenzen menschlicher Existenz operiert und kein System externer Erklärungen des menschlichen Lebens hervorbringt: In der Wissenschaft erklären wir die Erfahrungen des Beobachters (Menschen) mit den Kohärenzen der Erfahrungen des Beobachters. Ja, man könnte sagen, Wissenschaftler erfinden sich selbst, indem sie Wissenschaft betreiben, so wie Köche sich erfinden, indem sie kochen. Aber das Besondere oder Spezielle an dem menschlichen kognitiven Bereich ist, daß er in Sprache stattfindet, d.h., die Nische, in der wir menschlichen Wesen existieren, ist der Bereich von Koordinationen von Koordinationen von Handlungen, die „Benützumg von Sprache“[4] sind. Das heißt, da menschliche Existenz in Sprache stattfindet, findet sie statt in der Operationalität unbegrenzter Expansion durch die rekursive Dynamik der Reflexion in einer unendlichen Erweiterung der Nische. Tatsächlich existieren wir menschlichen Wesen in rekursiven Koordinationen von Koordinationen von Handlungen, was darauf hinausläuft, daß wir alles realisieren können, was uns einfällt, vorausgesetzt, wir respektieren die strukturellen (operationalen) Kohärenzen des Bereichs, in dem es uns einfällt.
Zuletzt noch: Ihr freudiger Ausruf, „keine Fragen mehr, was sich denn außerhalb dieser Schleife befinde!“, ist exzellent! Es war der Wunsch unserer Kultur nach externen Erklärungen für die menschliche Existenz, der unsere Möglichkeit begrenzte, zu sehen, daß Sprache nicht umgeht mit Objekten außerhalb dessen, was in ihr entsteht. Schließlich war es der Wunsch nach externen Erklärungen, der die Themen „Wirklichkeit“ und „Wahrheit“ im philosophischen Denken so zentral gemacht hat, daß wir nicht sehen, daß alles, was uns zur Verfügung steht, Erfahrung ist, nicht Erfahrung von etwas außerhalb, sondern Erfahrung als die Feststellung, was uns in uns selbst geschieht. Der Finger, der auf etwas zeigt, was wir sehen, wenn wir sagen „ich sehe“, sollte nicht auf das Objekt zeigen, das wir außerhalb von uns sehen, sondern auf uns, darauf, was in uns geschieht, wenn wir sehen. Und das sollte natürlich erklärt und verstanden werden als ein Faktor unserer Operationen in dem geschlossenen kognitiven Bereich unseres Daseins als „in Sprache befindliche“[5] Wesen.
Also, Prof. Milowiz, vielleicht habe ich zu viel geredet, und mehr, als Sie zu hören wünschten. So danke ich Ihnen noch einmal für Ihr freundliches Interesse.
Mit meinen besten Wünschen,
Humberto Romesin Maturana
Santiago, 17.Mai 1999
[1] Übersetzt von W. Milowiz
[2]Maturana benutzt das Wort „languaging“. Übersetzer verwenden auch den Ausdruck „sich in Sprache befinden“.
[3]Nicht verzweifeln: Im nächsten Satz erklärt er sich: Wenn man sagen will, daß ich mich selbst erfunden habe als den, der sich gerade erfunden hat, oder gar, daß ich gerade die Umwelt und die Erklärung meiner Umwelt erfunden habe, die es möglich macht, daß ich und diese Umwelt miteinander existieren können, so daß ich diese Umwelt erfinden kann, dann klingt das wohl auf jeden Fall etwas seltsam!
[4]Siehe Fußnote 3.
[5]Siehe Fußnote 1.
Veröffentlicht in: BASYS. Lfd. Nr. 7, Heft 2/99, S. 5 – 8
Was ist eigentlich systemisch? Eine Email-Diskussion
von Anna Maria Götz, Thomas Hermann, Conny Karlburger, Bernhard Lehr und Walter Milowiz
Conny
Da mein systemischer Kurs hier sehr von akademischen Glaubensgrundsaetzen geleitet wird musz ich fast jede meiner Ideen mit Literatur belegen und auch die Interviews mit den Klienten mit einer qualitativen Methode auswerten etc. Durch all diese Vorgaben hoffe ich sehr meinen systemischen Ansatz nicht zu sehr zu verlieren und wuerde von Euch allen gerne erfahren was ihr so denkt und im besonderen woran erkennt ihr dasz eine Arbeit, Idee, Beschreibung systemisch ist. Dazu stelle ich auch gleich die Frage woran erkennt ihr, dasz etwas absolut unsystemisch ist was sind so die ersten Dinge, die Euch dazu einfallen?
Bernhard
Liebe Conny, dein mail vom Dienstag hat mich so sehr angeregt, dass ich endlich wieder einmal schreibe. Danke dafür! Es war wohl nicht unsystemisch, dieses mail, also systemisch. Worin? Mir fällt ein, indem du fragtest, wie es wohl Walter geht, weil er auffallend nicht schrieb. Du vermutest Urlaub oder schlecht. Lustigerweise vermutete Lisl, meine Frau, als sie das las, er sei wohl noch immer sehr verliebt. Da dachte ich mir: egal ob schlecht, in Urlaub oder verliebt, jedenfalls in anderen Beziehungen, in anderen Systemen vermengt, und ich selbst erlebte mich stark meinen Körpersystemen verpflichtet in den letzten Tagen, Abwehr von Grippe, Immunsystem stärken. Du hast bewirkt, mich an unser SIA System zu erinnern, gleichzeitig auch, dass selbst Walter als oberster Vertreter dieses Systems auch anderen angehört, wir leicht auch zerbrechlich sind und mit jedem Kontakt aber es auch aufrechterhalten. Ich denke, dass du diesmal als Verteterin von SIA geworben hast: … denkt an Walter … an das Ganze …?
Du hast auch etwas in Aussicht gestellt: Wir könnten uns Ende März Anfang April treffen, um und zu fragen …
Ich freu mich, dich einmal persönlich kennenzulernen. Ich freu mich auf das Treffen. Deine Frage: Was ist absolut unsystemisch, was systemisch? geistert auch in diesen Tagen in meinem Kopf herum. Ich kam bis heute zu diesen Schlüssen: Wenn mir eine Systemzugehörigkeit in einem bestimmten Moment deutlich wird, mir daher Unterschiede zu anderen Systemen klar werden und ich daraus kommuniziere, handle ich „systemisch“, weil ich andere zu Reaktionen dränge ……… nananana …………. Wo bin ich jetzt? Wieder so abstrakt? Da wollte ich nicht hin. Geht’s anders? Dein mail ist ein Beispiel: Im Rahmen von SIA fragen, wie es Walter geht, ist wohl eine Möglichkeit systemisch zu handeln. Das und anderes drängte mich zu handeln im Rahmen von SIA.
Gestern sprach ich ungefähr eine halbe Stunde mit einem 25 jährigen Mann, der mit Arbeitslosigkeit und Selbstmord des Bruders und allerlei anderem seine Probleme hat, über seine Autos, das heißt er erzählte mir in einem Fort. In meinem Kopf, eingedenk deines mails: Was ist hier systemisch??? Ich fand keine Antwort und er redete wie ein Wasserfall. Bis er sagte: An seinem Auto erkennt man einen Menschen! Da fühlte ich mich gestört! Plötzlich sind zwei Anschauungssysteme aneinandergetroffen (ich kanns nicht besser ausdrücken).
War meine folgende Reaktion systemisch? Ich sagte, das interessiere mich jetzt näher, wie er das meine. Und ich erzählte ihm nicht von meinem Auto, das so dreckig ist, dass ich es nur mit Fingerspitzen angreife und auf starken Regen hoffe. Er erzählte, dass es ihm wichtig sei, alles sei in Ordnung, geputzt, das Auto, das Haus, der Körper, und dass er manchmal aus der Haut fahre, wenn etwas nicht funktioniere … Ich müßte jetzt lange noch schreiben, aber kurz: ich mag diesen jungen Mann, der sich die Welt so klar und deutlich einrichten will, und er kam bis jetzt ca. acht Mal zu mir zur Beratung. Sollte ich ihn an der Hand nehmen und zu meinem Auto führen und Fragen: Bin ich ein guter oder schlechter Mensch? Machte ich nicht. Wir vereinbarten wieder einen Termin und ich werde mich weiter erkundigen, wie er das mache, alles so ordentlich und wie seine Gefühlszustände (Himmel und Hölle auf Erden) auf einer Skala zwischen 0 und 10 wieder waren. Auffallend: Die Spitzenwerte (1 und 9) werden seltener. Ich wollte von einem zweiten noch erzählen, eventuell anders mal.
Was mir noch durch den Kopf geht: Sind Werbefilme systemisch? Wie systemisch sind Werbefilme? Wenn ich durch eine nackte Frau im Werbefilm doch angeregt werde mir mit Nivea den Kopf zu waschen, dann haben die Filmemacher erreicht, dass ich zum Kundensystem gehöre, mit Hilfe eines gewagten Reizes. Ich Sozialarbeiter als Vertreter eines Systems „Helfer“ biete Anreize für einen Vertreter eines leidenden Familiensystems und eines benachteiligten Klientensystems (Arbeitslose). Meine Reize sind wohl sparsamer, aber ich finde es wichtig, dass ich ihn mag, respektiere, schätze; da finde ich schon ein wenig Parallele zur Werbung. Und dann hätte ich noch gerne, dass er ein paar Werte von mir nimmt, damit er sich leichter tut „beim Kopfwaschen“! Jetzt bin ich auch schon Händler, Verkäufer! (Fritz Simon fällt mir ein: Wer handelt, der handelt.)
So, nun lasse ich es für heute, ich muss zu anderen Systemen.
Thomas
Zum Thema Was ist Systemisch: Ich war erst vor kurzem auf einer Leitertagung in Wels. Da habe ich die Systemiker im Gegensatz zu den Theologen sofort erkannt, weil sie in einer Grundsatzdiskussion die Behauptung aufgestellt haben, das es keine Wirklichkeit gibt die unabhängig vom Beobachter ist. Das klingt für uns vielleicht banal, ist aber noch lange nicht für alle so. Ich erlebe es aber immer wieder als sehr befreiend, sich dessen Bewußt zu sein, dass ich mir die Welt um mich herum selber machen kann. Auf der anderen Seite ist es doch so, dass unser Zusammenleben nur funktioniert, wenn es einen relativ hohen Konsens darüber gibt was Wirklichkeit ist. Man/frau stelle sich nur ein Fußballspiel ohne Regen (Wirklichkeit) vor. Ich würde dann auch noch sagen, dass sich Systemiker dessen bewußt sind, dass sie nur ein kleiner Faktor in einer großen Ansammlung von Faktoren sind, wohl wissend, dass dieser Faktor an der richtigen Stelle (vielleicht auch zusammen mit anderen Faktoren) viel bewirken kann. Wenn ein Landwirt seinen Boden Untersucht, wird er feststellen, dass in ihm hunderte verschiedene Stoffe vorkommen. Wenn er weiter forscht, wird er feststellen, dass nur vier dieser Stoffe das Wachstum der Pflanzen maßgeblich beeinflussen. Wenn er sich dann noch genauer mit der Sache befaßt wird er feststellen, dass alle vier gleichzeitig notwendig sind, um eine schnelles Wachstum der Pflanzen zu ermöglichen.
Es wäre so ein Traum von mir, dass es in der Sozialarbeit möglich wäre klarere Aussagen über soziale Probleme zu machen. Systemisch wäre das dann aus meiner Sicht nicht mehr so ganz. Oder vielleicht doch? Jedenfalls wäre es dazu notwendig einen breiten Konsens die entscheidenden Mechanismen in einem Problemsystem zu erfinden und zu wissen wie man/frau diese verändern kann.
Walter
Schlaue sätze von Systemikern: „Vereinfachen!“ „Wenn etwas funktioniert, dann mach mehr davon!“ „Wenn etwas nicht funktioniert, dann mach etwas anderes!“ „Wenn es funktioniert hat, dann war es systemisch!“
wie wäre es, wenn wir die Frage „was ist systemisch?“ umtaufen in „was hilft weiter?“ und uns dabei der Gedanken z.B. von Thomas, Bernhard, Conny et al. bedienen, um auch genug zu sehen?
Ich habe eigentlich in meinem Weltverständnis nur eine wesentliche Erkenntnis gehabt, die ich systemisch nennen würde, und die hieß:
Es ist nicht die Ursache, die etwas fixiert, sondern der momentane Prozess der Wechselwirkung. Und den kann ich ändern, (falls ich denn eine relevante Rolle spiele) indem ich mein Verhalten in Bezug auf relevante Kriterien ändere (siehe die berühmte Frage: „Welche Handlung würden die anderen am wenigsten erwarten?“). Alles weitere leite ich aus dieser Idee ab. Und wenn ich keine Rolle spiele, kann ich auch nicht Einfluß nehmen.
Von diesem Grundgedanken abgesehen kümmere ich mich um systemisch oder nicht überhaupt nicht, denn sonst gibt es (meiner Guru-Meinung nach) nichts, was systemisches Denken ausmacht. Alles andere haben auch die anderen. Und ist trotzdem und deshalb brauchbar und gut. Aber diesen Grundgedanken lasse ich auch nie los. Außer, wenn ich Ferien habe.
Vielleicht ist noch sehr hilfreich, sich bewußt zu bleiben, daß Systeme (und damit auch Menschen) nicht instruierbar sind (siehe Maturana und seine Perturbation), daß heißt, daß man keine Information in sie hineintun kann. (aber man kann es trotzdem versuchen, und manchmal scheint es doch so ähnlich herauszukommen …). Gute Analytiker arbeiten übrigens sehr systemisch! Und würden mich vielleicht hauen, wenn ich das zu ihnen sage … Übrigens ist zum Beispiel der lösungsorientierte Ansatz auch mit Vorsicht zu genießen: Er ist nur eine Methode, und kann, angewandt, ohne im Hintergrund systemisch zu denken, sehr „unsystemisch“ werden (wenn etwas nicht funktioniert…..mehr desselben)! Mit welchen Menschen und Problemen kann ich mich lösungsorientiert festfahren? Wer’s nicht glaubt, soll mal an der Mailing-Liste der Lösungsorientierten mitnaschen!
Die Bedeutung etwa von Kulturunterschieden zu sehen, finde ich nicht besonders systemisch, sondern einfach nur unheimlich wichtig. Man kann sehr oft leichter verstehen, warum man sich nicht versteht. Systemisch ist nur die Idee, daß man mit solchem „Nicht-Verstehen“ sich festfahren kann und ein Problem erzeugen bzw. aufrechterhalten. und dann … siehe oben.
Also machen wir aus der Frage systemisch oder nicht keine allzu komplizierte Sache: Es ist nicht kompliziert, es ist nicht viel, es ist nicht großartig. Es ist einfach nur fundamental …
liebe grüße von eurem Fundi, Walter
Thomas
Antwort auf Walters Kommentar zu Was ist Systemisch: Uff der große Meister hat gesprochen! Das Dumme ist nur, dass ich den Gedanken von ihm für gar nicht so dumm halte. Man muss ihn sich fast auf der Zunge zergehen lassen. Es ist nicht die Ursache, die etwas fixiert, sondern der momentane Prozeß der Wechselwirkung, und den kann ich ändern, (falls ich denn eine relevante Rolle spiele) indem ich mein Verhalten in bezug auf relevante Kriterien ändere (siehe die berühmte frage: „Welche Handlung würden die anderen am wenigsten erwarten?“). Für mich leiten sich aus der ersten Klammer noch die Frage ab: Was kann ich tun, dass ich in einem System (das ich verändern sollte/will ,z.B.: Strafvollzug) eine relevante Rolle spiele?
Diese Frage wird in der Sozialarbeit meiner Meinung nach sträflichst vernachlässigt. Da haben Menschen (SozialarbeiterInnen) gute Ideen und werfen sie dann den Säuen vor, statt sie zu verkaufen, bzw. an das relevante System zu bringen. Ein gutes Beispiel ist der Beitrag von Bernhard zum Humanismus. Inhaltlich völlig in Ordnung, nein sogar sehr Gut. Aber es wird sich an unserem Strafvollzug nichts ändern weil ich das lese und gut finde. Stellt sich also die Frage was Bernhard tun kann damit das große System Strafvollzug sich ändert? Davor muß er sich aber der kritischen Frage stellen, ob er in diesem System überhaupt eine Rolle spielt und wenn ja, ist sie wichtig genug, um dadurch das System ändern zu können?
Erst wenn diese Fragen alle mit „ja“ beantwortet werden können sind die anderen Fragen wirklich sinnvoll. Wenn die Antwort vielleicht lautet kann die Intervention auch nur vielleicht wirken. Die Frage: „Welche Handlungen würden die anderen am wenigsten erwarten?“ müßte meiner Meinung nach wie folgt erweitert werden: Welche Interventionen sind Ungewöhnlich genug, um das System zu ändern, aber doch nicht so ungewöhnlich, dass sie vom System nicht angenommen werden? Gruß Thomas
Anna Maria
Ich verfolge die verschiedenen Gedanken über einen Umweg und oft zeitverzögert. Auch wenn mir dieses Medium sehr fremd ist, finde ich den Austausch sehr anregend. Es ist kein Versuch eine neue Definition zu finden, es sind bloß ein paar Gedanken zu meinem veränderten Zugang zu systemisch – unsystemisch, die beim Lesen der Mails wieder auftauchten. Immer beim Lesen der Bücher mit den tollen Interventionen, fühlte ich mich nicht nur beeindruckt, sondern gleichzeitig gestreßt, gelähmt. systemisch zu arbeiten heißt ständig exzellente Interventionen zu setzen. Schaff ich nicht, somit bleibe ich unsystemisch. Irgendwann fielen mir viele Dogmen des systemischen Ansatzes ein, deren Anwendung mir im Alltagsleben zu einer gewissen Leichtigkeit verhelfen. Die beeinflussen, die Veränderung mit sich bringen, die sich sogar verselbständigt haben, die ich lebe, die mir weiterhelfen. Ich fühlte mich schon besser. Deshalb gefällt mir auch die Umbenennung „was hilft weiter“. Ich habe beschlossen mein Maß – systemisch oder nicht – nicht an meisterhafte Interventionen zu orientieren. Sondern systemisch zu denken als Hilfe und zur Kontrolle meiner Vorgangsweisen und Entscheidungen zu betrachten und nicht nur als Methode sondern als Lebenseinstellung zu sehen.
Diese bewußte unterschiedliche Einstellung machte bei mir einen Unterschied. Ich fühle mich weniger gestreßt, nicht so „unsystemisch“ und dadurch habe ich auch mehr Lust und Energie gewonnen wieder mehr auszuprobieren und gezielter Interventionen zu versuchen. (Der eine Zugang ersetzt ja nicht den anderen Bereich) Fixiere ich mich nicht auf einen Punkt, so steht die Welt wieder offen. Liebe Grüße, AnnaMaria
Walter
Liebe Conny, derzeit sitze ich hier hauptsächlich faul herum, weil ich mich nicht entschließen kann, loszufahren. Ich lese immer wieder in unseren E-Mails – und in Deiner Abschlussarbeit, und wenn mir etwas einfällt, schreibe ich es auf. Und jetzt will ich endlich das schreiben, was ich mir zu Deiner Frage „Was ist systemisch bzw. unsystemisch“ noch eingefallen ist.
Abgesehen von meiner Antwort, die ich schon damals abgegeben habe, ist mir nämlich eines noch nicht klar: Wozu braucht man das? Wer ist diese Autorität, die kontrolliert, ob man „systemisch“ ist? Ich meine, ich sehe ja vollkommen ein, daß es wichtig war, eine systemische Arbeit zu schreiben, um bei uns das Diplom zu bekommen, ich sehe auch ein, daß es wichtig ist, „akademisch“ zu sein, um dort das Diplom zu bekommen, aber für wen oder was um Himmels Willen muß man aufpassen, daß man nicht unsystemisch wird?
Ich habe mich noch nie bemüht, systemisch zu werden, sondern ich habe einfach nach Möglichkeiten gesucht, die Welt und meine Rolle darin zu verstehen, warum dieses klappt und jenes nicht, warum ich ‚mal unzufrieden bin und ‚mal zufrieden, warum Menschen sich nicht ändern und warum manchmal schon, warum ich so oft Menschen nicht verstehe etc. Und das, was ich mir da dann zusammenbasteln konnte, das hatte eben diesen systemischen Touch, die Anregungen kamen von Systemikern, und zuletzt ließ es sich sogar auf meine offenen Fragen bezüglich der Sozialarbeit anwenden. Ich habe keiner systemischen Gemeinschaft angehört und gehöre auch jetzt nur einer einzigen an, die ich selbst gegründet habe, damit ich unter Menschen bin, die die Welt wenigstens annähernd ähnlich auffassen wie ich, und wo ich es sagen kann, wenn ich etwas anders sehe, ohne ausgepfiffen zu werden. Ich weiß nicht, wie lange das gut gehen wird, aber wenn es vorbei ist und der Verein sich in eine für mich unpassende Richtung entwickelt, dann werde ich wohl wieder gehen. Je nachdem fange ich dann vielleicht wieder von vorne an.
Mir ist das wichtigste, daß ich Antworten finde, wenn ich Fragen habe. Und zwar Antworten, die glaubwürdig sind, die keine logischen Widersprüche erzeugen, und die dem Gruppendruck standhalten können, wenn es heißt: So denken anständige Menschen nicht. Im Notfall will ich, wenn alle mich für verrückt erklären, immer noch wissen, was ich weiß. Es war nie meine Idee, ich möchte Systemiker werden. Die Systemtheorie hat mir dazu geholfen, mich diesen Zielen weitgehend anzunähern, und das ist meine Faszination daran. Ich kann sie gut denken und daher gut leiden. Sie hilft mir, wie vielleicht anderen der liebe Gott. Und sie ist unbestechlich.
Die von dir gestellte Frage: Woran merke ich, ob ich noch systemisch bin? Oder so ähnlich, bekomme ich oft gestellt, von Studenten. Ich glaube, das einzige, was es zu merken gilt, ist, ob man wo verwickelt ist, und daher das eigene Denken als Teil des „Kampfes“ zu betrachten ist; oder ob man noch die Distanz hat, um zu sehen, was sich abspielt, bzw. sich dessen bewußt zu sein, daß man es nicht weiß, und daß daher eine „Intervention“ nicht als gezielt zu betrachten ist. Wenn ich jederzeit mein Tun hinterfragen kann; jede Aktion auch wieder sein lassen kann, wenn sie nicht so ankommt, wie geplant; wenn ich jederzeit in der Lage bin, alles, was geschieht, auch als o.k. stehen zu lassen, anstatt zu glauben, ich „müsse“ etwas tun; dann bin ich noch draußen. Wenn ich auf einmal glaube, irgendetwas sei grundsätzlich nicht zu akzeptieren, und/oder ich/man müsse etwas tun, dann bin ich drinnen. Ich weiß aber nicht, ob diese meine Antworten irgendetwas von dem beantworten, was diese Menschen fragen, und daher wollte ich Dich bitten, ob Du mir da weiterhelfen kannst: Worum geht es bei der Frage? Auch die Frage, ob etwas systemisch ist oder nicht, ist für mich nicht klar. Ich kann bei jedem Geschehen, jeder Handlung, die irgendjemand setzt, schauen, wie sich das Geschehen entwickelt, wie die Handlung sich „auswirkt“, und das tue ich als Systemiker, indem ich mein Augenmerk auf gegenseitige Bedingtheiten und zirkuläre Prozesse richte. Ich schaue nicht auf Absichten, sondern auf Wirkungen. Ich frage nicht danach, ob etwas irgendwelchen Kriterien irgendwelcher Schulen entspricht, sondern ich überlege und beobachte die Entwicklungen, die sich ergeben oder ergeben könnten: In gegenseitigen Wechselwirkungen.
Es war AnnaMaria, die vor einigen Jahren während der Supervision auf einmal darauf verwiesen hat, daß unter diesem Blickwinkel die sozialarbeiterische Idee von der Akzeptanz und Wertschätzung des Klienten eine neue, ernsthaftere Bedeutung bekommt, und ich möchte heute AnnaMaria bestätigen in der Idee, systemisches Denken so zu benützen, dass es ihr hilft, und nicht als Schulenzwang.
Anna Maria Götz, Thomas Hermann, Conny Karlburger, Berhnhard Lehr, Walter Milowiz, Christian Reininger. 1998
Über das Erlernen von Interaktionsmustern
von Walter Milowiz
Den Artikel „Über das Erlernen von Interaktionsmustern“ können Sie hier downloaden (PDF, 7 Seiten).
Über die Dinge oder Was ist Konstruktivismus?
von Walter Milowiz
Als Kind habe ich gelernt, daß Hauptwörter groß geschrieben werden. Und Hauptwörter seien alles, worauf man zeigen könne. Z.B. ein Apfel. Du zeigst auf ihn, und wenn ich es noch nicht kapiere, führst Du meine Hände an seinen Grenzen entlang: Alles, was innerhalb dieser Grenzen liegt, gehört zum Apfel, ist „Apfel“. So, wie mein Bein „Ich“ ist. Auch der Kern ist „Apfel“. Deswegen heißt er Apfelkern.
Wenn ich aber im Apfel einen Wurm finde, dann ist der Wurm nicht „Apfel“ (obwohl’s ein Apfelwurm ist!). Wieso ich das weiß? Das hat mir meine Mama gesagt, als ich den ersten Wurm im Apfel gefunden habe. Irgendwelche Leute haben miteinander ausgemacht, daß der Wurm nicht zum Apfel gehört. Die können allerdings nicht meine Hand an der Apfelgrenze entlang führen, weil das Wurmloch zu klein ist. Sie müssen mir erst den Wurm zeigen, und extra dazu sagen: „Der gehört nicht dazu!“ Brav, wie ich war, habe ich beim nächsten Mal gesagt: „Dhört nicht azu!“
Das war ja alles noch sehr einfach. Dann hat die Mami auf mich gezeigt, und „Walter“ gesagt. Und brav, wie ich war, habe ich das auch gleich gesagt, und Mami war begeistert. Immer wenn jemand irgendwohin gezeigt hat, habe ich „Wlta“ gesagt. Da war sie weniger begeistert. Aber das habe ich auch noch gelernt. Dann habe ich auf mich gezeigt, und dann fing das erste ernsthafte Problem an. Wenn Mami das sah, sagte sie „Walter“ oder „Du“. Wenn ich aber „Du“ dazu sagte, wurde ich ausgelacht. Es war sehr schwer zu lernen: Wenn ich auf mich zeige, sage ich „Ich“. Nur Du darfst „Du“ sagen, wenn ich auf mich zeige. Dafür sagst Du, wenn ich auf Dich zeige, „Ich“. Naja. Ich erklär’s nicht weiter. Wenn Du das noch nicht kannst, wirst Du’s jetzt auch nicht mehr lernen. Mich erinnert es an „Bäumchen-wechsle-dich“.
Wenn ich genau wissen will, was „Ich“ ist, ist das auch nicht so einfach. Wenn Mama meine Hände an meinen Grenzen entlang führt, dann gibt das Probleme. Wie führt man die Hände an den Händen entlang? Und überhaupt beim Zeigen! Mein Finger zeigt auf mich. Zum Beispiel auf den Bauch. Die Brust gehört auch dazu und der Kopf. Und die Arme. Und die Hände. Und der Finger, der zeigt, gehört auch dazu. Weil der nämlich am Körper dranhängt, und kein Wurm ist. Immerhin werde ich heute noch schwindlig, wenn ich sage: „Ich bin ich“: Ich renne, so schnell ich kann, im Kreis, vom einen „Ich“ (dem Sagenden) zum anderen (dem Be-sagten). Dann merke ich, daß das Be-sagte „Ich“ gerade gesagt hat: „Ich bin ich!“ und renne wieder los. So renne ich eigentlich dauernd hinter mir her. So wie der Hund, der seinen Schwanz verfolgt.
Warum die Philosophen das allerdings gar so problematisch finden, verstehe ich nicht. Vielleicht wollen sie nur nicht dauernd im Kreis rennen. Was ich auch nicht verstehe, ist, daß man „ich“ klein schreibt. Das ist klarer Unsinn. Und daß man nicht „der Ich“ sagt, und „die Ich“. Gott sei Dank hat ja irgend jemand dann „das Ich“ erfunden (War es Freud, oder hat er’s nur plagiiert?). Aber warum in drei Teufels Namen hat er eingeführt, daß „das Ich“ nicht „ich“ ist? Jetzt fängt es nämlich wirklich an, kompliziert zu werden. Zeig’ Du mir ‘mal, was „das Ich“ ist! Nichts mehr mit hinzeigen, nichts mehr mit Hände entlang führen! Amerika gibt es nicht! (Das ist eine sehr liebe Kindergeschichte.) Viele reden davon, aber noch keiner hat es mir gezeigt. Und schon gar nicht „das Ich“.
Oder „das Bewußtsein“! Da gehen die Leute her, nehmen ein Wort, bei dem man nirgends hinzeigen kann, und dann fragen sie: Was ist denn das Bewußtsein genau? Wie funktioniert Bewußtsein? Dabei hat ja noch niemand hingezeigt: Wir können gar nicht herausfinden, was da alles dazugehört, weil niemand hinzeigen kann! Und wenn: Dann würden wir eben sagen: o.k., das Ding da nennen wir Bewußtsein. Und, brav, wie wir sind, würden wir immer, wenn hingezeigt wird, „Aha, Bewußtsein“ sagen. Denn so lernt man doch reden, oder? Man lernt, in bestimmten Situationen bestimmte Laute von sich zu geben. Und auf einmal, wenn wir das schon ganz gut können, und längst nicht mehr daran denken, wie es geht (so wie beim Autofahren, oder beim Tausendfüßler), daß es nur darum geht, in der richtigen Situation die richtigen Grunz- und Zischlaute von sich zu geben, kommt jemand und fragt: „Was ist eigentlich Bewußtsein?“ Was für Laute sollen wir jetzt von uns geben? Ich weiß nur, daß ich gelernt habe, in bestimmten Situationen „Bewußtsein“ zu sagen.
Und Du? Hast Du schon ‘mal etwas gesehen, zu dem man „Bewußtsein“ sagt? Es ist einfach unfair: Zuerst bringen sie einem bei, bestimmte Laute von sich zu geben, und dann verlangen sie, daß wir wissen, was das soll! Ich sag’ euch, was es soll: Wenn ich die falschen Laute von mir gegeben habe, waren sie unzufrieden, haben geschimpft oder sie haben mich ausgelacht, oder sie haben gar nicht reagiert, oder sie haben gesagt: „Was?“ Immer wieder, immer wieder, bis ich endlich so geredet habe, wie sie es wollten. Und dann haben sie gesagt, ich hätte etwas „verstanden“. Und haben mich – zumindest symbolisch – in den Arm genommen. Das kann ich inzwischen ganz gut: Etwas „verstehen“. Allerdings nur, wenn die Leute genug Geduld haben, weiter zu fragen und zu probieren, was sie mit meinen Lauten anfangen können, solange, bis sich dieses seltsame Erlebnis einstellt, wo dann beide sagen: „Aha, jetzt haben wir uns verstanden!“ Ein tolles Gefühl, nicht wahr? Dieses Gefühl gibt’s übrigens auch ohne Grunz- und Zischlaute, ohne den Satz „Aha,..“ undsoweiter. Es ist das gleiche Gefühl, wie wenn sich auf der Straße zwei Leute entgegenkommen, und herausfinden, wer nach welcher Seite ausweicht. Oder wenn man nach einer Zwetschke greift, und auf einmal hat man sie in der Hand – oder gar im Mund. Wunderschön, wenn die Dinge funktionieren: Eine Situation verlangt, irgendwie zu reagieren, weil ich schon weiß, daß sonst irgend etwas Unangenehmes passiert (oder etwas Angenehmes nicht passiert): Und ich schaffe es! Ist das nicht toll? Was kommt als Nächstes?
Und weißt Du, was der Heinz von Foerster will? Der will nur, daß wir dieses Gefühl nicht kriegen, dieses Gefühl, wo wir dann aufhören, uns um eine Sache zu kümmern, weil wir sie erledigt finden! Weil er sich dann immer so allein vorkommt, wenn keiner mehr mit ihm darüber redet, was denn „das Bewußtsein“ sei! Der kriegt dieses Gefühl offenbar nur immer dann, wenn er jemanden dazu bringt, daß der es nicht kriegt, sondern weiter herumprobiert, was er denn sagen muß, damit sich dieses Gefühl einstellt; damit er sich dann anderen Dingen zuwenden kann. Und nur, wenn Dir das auch Spaß macht, kannst Du mit ihm Spaß haben. Er nennt das „Tango“. Heinz will Tango tanzen. Wenn Du Hunger hast, dann gehe nicht zu Heinz: Er will mit Dir Tango tanzen! Höchstens: Vielleicht könnte man während des Essens auch Tango tanzen? Oder wir versprechen ihm, daß wir nach dem Essen ganz lange mit ihm Tango tanzen…
Eines ist sicher: das Wort „Bewußtsein“ ist Teil eines Eigenwertes der Kommunikation zwischen Menschen: Ein Zirkel, der funktioniert: Wenn man über „Bewußtsein“ redet, kriegt man Antworten, die dazu führen, daß wieder über „Bewußtsein“ geredet wird. Wenn nicht gleich, dann doch später. Und Heinz ist auch Teil dieses Kreises: Man könnte glauben, er macht es absichtlich: Er pflanzt die Leute solange mit dem Wort, bis die auch darüber nachdenken. Und dann schaut er sich begeistert an, wie die Leute nachdenken. Und wenn einer sagt: „Ich nenne jetzt Bewußtsein das und das“, und glaubt, jetzt kann er essen gehen, dann sagt Heinz: „Jetzt habe ich etwas über Dich erfahren, aber nicht über das Bewußtsein!“ Und alle, die gerne Tango tanzen, fangen wieder von vorne an. So bleibt das Wort am Leben. Und die Leute hungrig.
Ich möchte eigentlich wissen, warum man bei einem Menschen sagt, er sei ein lebendes „Ding“, und bei dem Wort „Bewußtsein“ nicht. Die Menschen verhalten sich so, daß ihre Umwelt (Luft, Nahrung etc.) ihnen hilft, Menschen zu erzeugen, und das Wort „Bewußtsein“ verhält sich so, daß die Menschen ihm helfen, das Wort „Bewußtsein“ zu erzeugen. Daran, daß das Wort die Menschen benützt, kann’s nicht liegen: Bakterien machen es genau so: Sie verhalten sich auch so, daß die Menschen ihnen helfen, Bakterien zu erzeugen. Und Computer auch, und Tische auch. Trotzdem „leben“ angeblich nur Bakterien (und Menschen). Die Computer können’s sogar viel besser als die Menschen: Die haben sich viel schneller vermehrt!
Ob wohl die Leute, mit deren Hilfe die ersten Worte sich erfunden haben, das nur mitgemacht haben, um Leute zu pflanzen? Wenn Kinder eine Sprache erfinden, dann tun sie es meistens dazu! Sollten jedenfalls irgendwann die ersten zwei Leute miteinander reden gekonnt haben und andere noch nicht, dann – da bin ich ganz sicher – haben die anderen sehr blöd geschaut.
Wollt Ihr mit mir Tango tanzen?
(Milowiz, Walter (2000): Über die Dinge. Nachgedanken zur Lektüre des Buches „Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners“ von Heinz v. Foerster.)
…. von ASYS verwendete und empfohlene weiterführende Literatur, die hilft, systemisch zu denken und zu handeln
Andersen, T. (1990): Das Reflektierende Team. Dialoge und Dialoge über die Dialoge.
Andolfi, M. u.a. (1986): Das Spiel in der Maske. Therapeutischer Wandel in rigiden Systemen.
Bateson, G. (1985): Ökologie des Geistes.
Berg, I. K.; Miller, S. D. (1998): Kurzzeittherapie bei Alkoholproblemen. Ein Lösungsorientierter Ansatz.
Cecchin, G.; Lane, G.; Ray, W. A. (1993): Respektlosigkeit. Eine Überlebensstrategie für Therapeuten.
Cramer, F. (1989): Chaos und Ordnung: Die komplexe Struktur des Lebendigen.
Conen, Marie-Louise (Hrsg.) (2002): Wo keine Hoffnung ist, muss man sie erfinden. Aufsuchende Familientherapie.
Ebeling, W. (1989): Chaos-Ordnung-Information.
De Jong, P.; Berg, I. K. (1998): Lösungen (er-)finden. Das Werkstattbuch der lösungsorientierten Kurzzeittherapie.
De Shazer, Steve (1989): Wege der erfolgreichen Kurztherapie.
De Shazer, Steve (1989): Der Dreh.
De Shazer, Steve (1992): Das Spiel mit Unterschieden.
Dörner, D. (1989): Die Logik des Mißlingens.
Fischer, Renate; Kimbacher, Klaus (2021): Hinter den Kulissen. Ein Coaching-Roman.
Foerster, H. v. (1998): Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners. Gespräche für Skeptiker.
Furmann, B.; Ahola, T. (1995): Die Zukunft ist das Land, das niemandem gehört… Probleme lösen im Gespräch.
Furmann, B.; Ahola, T (1996): Die Kunst, Nackten in die Tasche zu greifen. Systemische Therapie vom Problem zur Lösung.
Glasersfeld, E. von (1996): Radikaler Konstruktivismus. Ideen, Ergebnisse, Probleme.
Hargens, J. (2000): Bitte nicht helfen! Es ist auch so schon schwer genug. (K)ein Selbsthilfebuch.
Haley, J. (1978): Gemeinsamer Nenner Interaktion. Strategien der Psychotherapie.
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…. Master- und Diplomarbeiten der ASYS Lehrgängen
Hier können Sie die Liste der Master- und Diplomarbeiten der ASYS Lehrgänge, die systemisch beraten, supervidieren und coachen zum Thema haben, downloaden.